Amazon-Werbung abschalten? Diese Händler haben es gewagt – ohne Umsatzrückgänge

Ist die Werbung auf dem Marktplatz massiv überschätzt?

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Eigentlich gilt Werbung auf Amazon im Windschatten der immer noch steigenden Relevanz von Amazons Marktplatz als einer der aktuell wachstumsstärksten Bereiche im Online Marketing. Doch in der deutschen Amazon-Händler-Szene wird der Sinn von Amazon-Werbung gerade heiß diskutiert. Diverse Händler haben ihre Werbung auf dem Marktplatz über einen längeren Zeitraum hinweg testweise deaktiviert – und angeblich wenig bis keine Umsatzrückgänge verzeichnet. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen.

Christian Kelm

„Ich halte Werbung auf Amazon für massiv überbewertet“, so Christian Otto Kelm gegenüber OMR. Der Amazon-Experte leitet seit dem 1. Mai die Produkt-Entwicklung bei dem Amazon-Analyse-Tool Amalyze. Davor hat er über mehrere Jahre hinweg Unternehmen zu deren Aktivitäten auf Amazon beraten, zuletzt mit der Agentur Content Keyword Management.

„Keine negativen Auswirkungen nach vier Wochen ohne Werbung“

Anfang des Jahres hatte Kelms Skepsis gegenüber Werbung auf Amazons Marktplatz offenbar ihren Höhepunkt erreicht: „Bevor Werbung auf Amazon eingeführt wurde, hat man es ja auch geschafft, auf der Plattform etwas zu verkaufen. Ich finde die Effekte von Werbung auf Amazon als sehr schwer messbar. Und was man nicht messen kann, kann man nicht steuern.“

Er habe sich deswegen mit einem Kunden dazu entschlossen, dessen Werbung auf Amazon für mindestens vier Wochen auszuschalten. „Wir wollten überhaupt erst mal unser ‚Grundrauschen’ messen können. Das Erstaunliche war: Wir haben keine negativen Auswirkungen gespürt“, so der Amazon-Experte.

30 andere Händler sollen ähnliche Erfahrungen gemacht haben

Nach diesem ersten Experiment ruft er bei Vorträgen und in Facebook-Gruppen andere Händler dazu auf, ihre Amazon-Werbung zum Test ebenfalls zumindest zeitweise abzuschalten. Kelms Stimme hat in der Szene Gewicht; einige folgen seinem Aufruf: „Mittlerweile weiß ich von mehr als 30 anderen Händlern, die denselben Test gemacht haben. Ich habe von keiner einzigen Negativerfahrung gehört.“

Klaus Forsthofer

Das Unternehmen Ace Instruments aus dem oberbayrischen Freilassing verkauft Arbeitsschutzkleidung und beschäftigt 21 Mitarbeiter. „Wir machen jährlich 16 bis 17 Millionen Euro Umsatz, zehn Millionen davon über Amazon“, sagt Geschäftsführer Klaus Forsthofer. Als er von Christian Kelms Experiment erfährt, ist sein Unternehmen sowieso gerade dabei, seine Amazon-Aktivitäten zu konsolidieren und das Sortiment zu reduzieren. Forsthofer senkt die Werbeausgaben von Ace Instruments auf Amazon für vier Wochen von 40.000 auf 10.000 Euro – „ohne sichtbare Umsatzverluste“, so Forsthofer.

„Das sind drei Prozent mehr EBIT“

Für den Versandhändler sind Einsparungen dieser Größe enorm. „Wir machen ja knapp eine Million Amazon-Umsatz im Monat – da sind 30.000 Euro Kosten weniger extrem relevant“, sagt Forsthofer. „Das sind ja rund drei Prozent unseres EBITs. Da müsste ich schon ganz viel bewegen, wenn ich solch eine Verbesserung auf anderem Wege erzielen wollte.“  Das Unternehmen schaltet aber weiterhin Werbung bei Amazon. „Wir haben gute Kampagnen, die noch laufen oder sogar ausgebaut werden. Man sollte dem ganzen einfach mit gutem System und gesundem Hausverstand begegnen, sich ausprobieren, messen und sich nicht blind auf Autopiloten, Software und Agenturen verlassen.“

Von einem ähnlichen Erfahrungsprozess berichtet Denis M. Klug, Geschäftsführer von vanVerden: Das Unternehmen aus dem hessischen Schlüchtern verkauft bedruckte Tassen und Textilien (T-Shirts, Tassen, Schürzen). „95 Prozent unserer Verkäufe finden auf Amazon statt“, so Klug. Auch er schaltete die Werbung für vier Wochen aus. „Das Erschreckende war, dass zuerst gar nichts passiert ist. Nach drei bis vier Wochen sind unsere Verkäufe sogar um zehn Prozent gestiegen.“

Amazons Werbegeschäft auf den Spuren von Google und Facebook?

Denis Klug

Im vergangenen Jahr habe er 62.000 Euro in Amazon-Werbung investiert, sagt Klug. Zuletzt habe das Monatsbudget bei 4.000 Euro gelegen. Nach dem Test habe er die Werbung in geringerem Volumen wieder angeschaltet; vor allen Dingen, um neue Produkte zu pushen. „Heute geben wir keine 500 Euro mehr im Monat aus.“

Die Erfahrungen der Händler sind umso erstaunlicher, bedenkt man, dass Amazon aktuell in der Digitalszene als ernstzunehmende Gefahr für Google und Facebook gehandelt wird – nicht nur, aber auch, weil das Werbegeschäft stark wächst. In den USA liegt Amazon nach Schätzungen von Emarketer in Sachen Werbeumsätze mittlerweile auf Platz drei hinter Google und Facebook. In Deutschland sollen sich Amazons Werbeumsätze im Jahr 2018 unbestätigten Gerüchten zufolge auf 500 bis 600 Millionen Euro belaufen.

„Amazon rechnet das schön“

Wie passt diese Entwicklung mit den Erfahrungen der Händler zusammen? Verkauft Amazon den Werbetreibenden nur heiße Luft? „Die Daten, die die Werbetreibenden von Amazon erhalten, sind nicht falsch, aber man muss sie lesen und bewerten können. Oft werden Kennzahlen wie der ACOS fehlerhaft gedeutet“, sagt Christian Kelm. Der Advertising-Cost-of-Sale („Werbekosten anhand des Umsatzes“) ist die zentrale von Amazon ausgewiesene Kennzahl, anhand derer die Werbekunden die Rentabilität ihrer Amazon-Werbung ablesen können sollen. Kelm sagt: „Mit Kennzahlen wie diesen hat Amazon es geschafft, Werbung gegenüber den Advertisern schönzurechnen. Simple Kennzahlen wie der Cost-per-Order werden den Werbetreibenden ja nicht angezeigt.“

„Als Erfolgskennzahl ist der ACOS für Seller verzerrend“, sagt auch Ace-Geschäftsführer Klaus Forsthofer. „Amazon berechnet den Wert auf Basis des Außenumsatzes vor Steuern und vor Retouren. Damit ist er in der Regel um ein Drittel zu hoch.“ Er finde die Entwicklung rund um Werbung auf Amazon nicht fragwürdig, rät anderen Händlern aber auch dazu, genauer hinzuschauen.

„Amazon-Werbung wird noch wichtiger werden“

Er sei nicht per se gegen Werbung auf Amazon, sagt Christian Otto Kelm,  „aber ich bin gegen unstrategische Werbung.“ Es gebe zwei Funktionen, für die er Amazon Werbung nach wie vor sinnvoll halte: Die eine davon sei der Schutz gegenüber Wettbewerbern. „Ich rate dazu, auf die eigene Marke als Keyword und auf die eigenen Produkt-Listings Werbung zu schalten. Einfach, damit diesen Platz kein Mitbewerber einnehmen und mir möglicherweise Sales wegschnappen kann.“ Die andere sei Werbung, um Produkte auf Amazon neu einzuführen. „Bis ein Produkt organisch rankt, ist es auch empfehlenswert, dafür Werbung zu schalten. Denn schließlich zahlen die so generierten Sales auch auf das organische Ranking ein.“

Tim Nedden

Eine deutlich positivere Wahrnehmung von Werbung auf Amazon hat Tim Nedden von der Amazon-Agentur finc3. „Ich glaube nicht, dass Amazon-Werbung überbewertet ist, sondern dass diese im Gegenteil immer noch wichtiger werden wird. Schließlich nimmt das Angebot auf Amazon ja auch immer weiter zu. Häufig stehen den äußerst begrenztem Platz auf der ersten Suchergebnisseite Hunderttausende Angebote gegenüber.“

„Kostenloser Traffic wird immer stärker reduziert werden“

Ob Werbung für einen Händler sinnvoll sei, hängt nach Ansicht Neddens von vielen Faktoren ab: „Was habe ich für ein Produkt? Wie breit gefasst sind die Suchbegriffe, über die die Kunden auf meine Produktseiten gelangen? Wie aktiv sind meine Mitbewerber? Wenn ich Film-DVDs verkaufe, kommen 90 Prozent der User über eine Suche nach dem Titel auf meine Seite. Da muss ich nicht unbedingt Werbung schalten. Wenn ich aber ein Produkt habe, zu dem die Nutzer über viele, recht allgemeine Keywords gelangen, sieht es schon deutlich anders aus.“

Nedden erwartet bei Amazon eine ähnliche Entwicklung wie bei Google und Facebook: „Zuerst gab es den Traffic umsonst, dann wurde der Anteil des kostenlosen Traffics immer weiter runtergefahren. Bei Amazon nehmen je nach Keyword schon jetzt bis zu ein Drittel des Platzes Sponsored Placements ein. Ob man Werbung bucht oder nicht, wird dann immer mehr zur Risikoentscheidung.“

Update, 06.07.19, 15 Uhr:

Wir haben den Artikel um ein weiteres Statement von Klaus Forsthofer ergänzt.

 

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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