Marken haben die Kommentarspalte bei Tiktok entdeckt – und nutzen sie jetzt fürs Marketing

Wir zeigen, welche Marken schon Hunderttausende von Likes eingesammelt haben

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Mehr als eine Milliarde Menschen sind mittlerweile mindestens einmal im Monat auf Tiktok aktiv, wie das Unternehmen im September verkündete. Bei dem Vorhaben, diese enorme Reichweite anzuzapfen, gehen einige Marken gerade einen eher unkonventionellen Weg: Sie setzen (in der Regel humorvolle) Kommentare unter viralen Videos ab und generieren damit teilweise enorme Aufmerksamkeit. OMR zeigt Beispiele und erklärt die Hintergründe.

Kommentare von Marken unter einem aktuellen Tiktok-Video von Taylor Swift

Wischt man sich aktuell auf Tiktok durch die „Für Dich“-Seite und schaut dort bei engagement- und abrufstarken Videos in den Kommentarbereich, so stößt man dort immer häufiger weit oben auf Kommentare von Marken. Besonders deutlich zeigt sich dieser Trend im Kommentarbereich des Tiktok-Accounts des US-Superstars Taylor Swift. In einem Video vom 12. November, das aktuell 20 Millionen Plays angesammelt hat, verkündet die Sängerin die Veröffentlichung ihres neuen Albums „Red (Taylor’s Version)“. Die ersten zwölf Top-Kommentare (bei Tiktok können Kommentare gelikt werden; Kommentare mit besonders vielen Likes werden ganz oben angezeigt) stammen alle von Brands: Der oberste, mit mehr als 200.000 Likes, vom US-Fernsehsender „History Channel“, aber auch die Sprachlern-App Duolingo, die US-Rennserie Nascar sowie der offizielle Unternehmens-Account von Tiktok selbst.

Millionenreichweite mit einem Kommentar

Nun ist die Veröffentlichung des neuesten Taylor-Swift-Albums nicht nur in der Pop-Welt, sondern auch darüber hinaus ein viel beachtetes Ereignis. Dass Marken versuchen, sich an solche aufmerksamkeitsstarke Phänomene über Social Media anzuhängen (wie zuletzt beispielsweise bei der Netflix-Serie Squid Game), ist keine neue Entwicklung. Doch der Trend zu Kommentaren von Brands auf Tiktok ist neu und er beschränkt sich nicht nur auf Videos dieser Art. Tippt man im „Entdecken“-Bereich hervorgehobene Videos zu aktuell angesagten Hashtags an, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch (wenn das Thema oder der Videoinhalt nicht für Marken zu heikel ist), dass unter diesen ebenfalls einige Marken kommentiert haben.

Warum greift diese Praxis gerade so um sich? Offensichtlich spekulieren viele Marken darauf, mit kreativen und gelungenen Kommentaren unter viralen Videos ein Stück des riesigen Tiktok-Reichweitenkuchens für sich abschneiden zu können. Die meistabgerufenen Videos auf der Plattform verzeichnen Views im einstelligen Milliarden(!)bereich. Solche Zahlen sind zwar nicht die Regel, und sicherlich öffnen nicht alle der Zuschauenden die Kommentare. Wie immens das Aufmerksamkeitspotenzial trotzdem ist, zeigt folgende beispielhafte Rechnung: Selbst wenn ein Video „nur“ 40 Millionen Views verzeichnet (was bei Videos, die weltweit viral gehen, durchaus schnell passieren kann) und jeder zehnte Zuschauende die Kommentare öffnet, kann eine Marke sich mit einem gut gerankten Kommentar darunter immer noch bei vier Millionen von Menschen ins Gedächtnis bringen.

Deutscher Rapper der Lieblingsmusiker von Adele?

Unter diesem viralen Video haben Marken wie Tinder, Windows, GoPro und Nascar kommentiert

Was für ein Hebel die Kommentarspalten auf reichweitenstarken Plattformen sein können, hat sich in der Vergangenheit auf Youtube gezeigt. Dort manipulieren beispielsweise immer wieder Fans des deutschen Satire-Rappers MC Smook Top-Kommentare unter den Youtube-Videos von aktuellen, globalen Hits. Am Ende erwecken diese den Eindruck, dass MC Smook der Lieblings-Rapper des oder der jeweiligen Musikers/Musikerin sei (zuletzt etwa unter dem offiziellen Video von „Go Easy On Me“ von Adele). Viele neugierige User:innen suchen dann nach dem Namen des Künstlers, was zu den 4,4 Millionen Views des Youtube-Kanals von MC Smook einen durchaus relevanten Beitrag geleistet haben dürfte. Auch Affiliate-Glücksritter und -Scammer haben in der Vergangenheit das große Aufmerksamkeitspotenzial von Kommentaren unter beliebten Youtube-Videos genutzt, um Traffic für ihre Websites zu generieren.

Zwischen Youtube und Tiktok gibt es einige Parallelen: Wie bei Googles Bewegtbildplattform können auch auf Tiktok Kommentare geliket werden. Die meist gelikten Kommentare werden auf Youtube wie Tiktok oben angezeigt und bleiben so für einen langen Zeitraum sichtbar (bei Youtube ist die Fluktuation noch höher). Wem es also gelingt, einen Kommentar abzugeben, der von der Tiktok-Community besonders gefeiert wird, hat die Chance eine enorme Aufmerksamkeit zu erhalten.

Duolingo hat den Bogen raus

Eine Besonderheit, in der sich Tiktok von Youtube in Sachen Kommentare jedoch unterscheidet: Die Urheber:innen des jeweiligen Tiktok-Videos können Kommentare auch mit einem neuen Video beantworten. In diesem Video ist der Kommentar dann anfangs als Sprechblase zu sehen. Der heilige Gral der kommentierenden Social-Media-Marketer auf Tiktok dürfte es also sein, einen Kommentar abzugeben, der den oder die jeweilige Creator:in dazu animiert, eine solche Video-Antwort dazu zu filmen, die dann nochmals ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit erhält. Der Sprachlern-App Duolingo ist es gelungen, mit einer Antwort auf einen Kommentar der US-Fast-Food-Kette Chik-Fil-A (deren Gründer angeblich die Homo-Ehe ablehnt) so viel Zuspruch zu erhalten, dass eine andere Userin den Kommentar abfilmte. Das Video ging ebenfalls auf Tiktok viral und sammelte 3,9 Millionen Views an.

Die Marken müssen für solche Reichweiten keine Mediakosten aufwenden; es fallen „lediglich“ die Personalkosten für das Social-Media-Team an, das größere Unternehmen in der Regel sowieso beschäftigen. Und die Marken können sich auf diese Weise nicht nur immer wieder ins Gedächtnis der jungen Zielgruppe rufen. Sondern sie können Kommentare im Rahmen einer größeren Strategie auch zum Community Building auf Tiktok nutzen, die Akzeptanz der Marke auf der Plattform erhöhen und die Aufmerksamkeit für deren eigene Videos steigern. Duolingo hat beispielsweise mit der Mischung aus humoristischen Videos rund um das eigene Maskottchen „Duo“ und schlagfertigen Kommentaren innerhalb von zwei Monaten etwa anderthalb Millionen Tiktok-Follower gewonnen.

42,1 Millionen Views mit einer Markenkommentarschlacht

Das Phänomen ist mittlerweile offenbar so omnipräsent, dass manche Creator:innen es in ihren Videos  (wohl in ironischer Ambiguität) gezielt darauf anlegen, solche Kommentare einzusammeln. Die Marken, die unter solchen Videos kommentieren, signalisieren dabei oft die Bereitschaft, sich mehr oder minder (meist auf gutmütige Art und Weise) verspotten zu lassen. Die vielleicht erste Serie an Videos dieser Art hat Emily Zugay im September dieses Jahres auf Tiktok veröffentlicht. Die 24-jährige US-Amerikanerin hatte in einem viralen Video zunächst knochentrocken präsentiert, wie sie Logos bekannter Konzerne wie Apple oder Starbucks im MS-Paint-Look umgestaltet (und vermeintlich verbessert) hatte. In den Kommentaren baten dann weitere große Firmen wie etwa Adobe um eine ähnliche Behandlung. Alle Videos aus der Serie haben fast 100 Millionen Views angesammelt; Zugay wurde in die Ellen Show eingeladen, um deren Logo zu „verschönern“.

Im Oktober lud Ram Sanchez, ein junger Tiktok-Creator, der hauptberuflich im Social-Media-Team von Lonely Planet tätig ist, ein Video hoch, das ihm beim Verspeisen eines Brokkoli zeigt und in dessen Caption er aufforderte: „Ein paar Marken sollten das hier grundlos kommentieren“. Geschätzte 100 Marken folgten Sanchez‘ Ruf, darunter Amazon, BMW, Discord, Tiktok, McDonalds, Burger King und Tinder. Bis heute hat das Video 42,1 Millionen Views angesammelt; mit 1,1 Millionen Likes stammt der Top-Kommentar von der Hotelgruppe Holiday Inn Express.

Fast fünf Millionen Views für einen Edeka Markt

Ende Oktober, Anfang November gab es ein ähnliches Beispiel in kleinerer Dimension mit deutschen Marken: Tiktok-User smd.amanuel animierte per entsprechender Caption Marken dazu, sich von ihm „roasten“ zu lassen. Nach und nach folgten dem Aufruf ein süddeutscher Edeka-Markt, die Karriereseite der Polizei Berlin, die Chips-Marke Funny Frisch sowie Aldi Süd. Auf jeden Kommentar antwortete der Creator mit eigenen Videos, die jeweils View-Zahlen im siebenstelligen Bereich generierten.

Wer also auf ähnliche Reichweiten auf Tiktok spekuliert, sollte die Plattformen wohl nicht nur als reine One-Way-Sendestationen verstehen, sondern sich auf den Dialog mit den User:innen einlassen. Ebenfalls sehr nützlich: ein Mindestmaß an Selbstironie sowie ein Grundverständnis für die Kultur der Plattform. Denn der Grat zum „Tiktok Cringe“ ist schmal.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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