Locket: Wie die neue Social-App dank Tiktok 600.000 Downloads am Tag generiert

Martin Gardt18.1.2022

Die App Locket hat nur einen Zweck: Fotos per Widget auf iPhone-Homescreens bringen – jetzt könnte daraus ein Business werden

Die Locket-App
Die Locket-App

Die App-Ökonomie ist eines der härtesten Pflaster der Welt. 2021 haben Nutzende 230 Milliarden Apps heruntergeladen. Diese Downloads verteilen sich aber auf so viele Apps und große Player ziehen so viel Volumen auf die eigenen Apps, dass für viele Entwickler:innen nicht viel übrig bleibt. Umso überraschender, wenn eine 1-Mann-App aus dem Nichts wahnsinnige Download-Erfolge feiert. So geschieht es gerade mit Locket. Wir zeigen, wie es der Entwickler geschafft hat, mit einem Nebenprojekt in wenigen Tagen viele Millionen Dowloads zu generieren.

„Ich habe das als Geburtstagsgeschenk für meine Freundin letzten Sommer entwickelt“, sagt Locket-Gründer Matt Moss gegenüber Techcrunch. „Sie war kurz davor, eine Ausbildung in einer anderen Stadt zu starten. Es lief also auf eine Fernbeziehung hinaus und es war eine schöne Möglichkeit, verbunden zu bleiben.“ Wie Locker Moss und seine Freundin verbindet? Die App erlaubt es, ein Widget auf den Homescreen des iPhones zu packen, in das Freundinnen und Freunde – mit Erlaubnis – aktuelle Bilder schicken können. Diese werden dann direkt in dem Widget angezeigt. Locket ist also ein kleines privates soziales Netzwerk auf dem iPhone (eine Android-Version ist in Planung). 

Locket-Funktionen in der Übersicht

Mit Locket schicken sich Nutzende spontane Bilder auf ihre iPhone-Homescreens.

Was Matt Moss zwei Tage in der Entwicklung kostet, startet seit Neujahr 2022 richtig durch. Nachdem Bekannte der beiden das Tool auf deren Smartphones sehen und es auch nutzen wollen, packt Moss Locket am 1. Januar offiziell in den App Store – mit ziemlichem Erfolg. Derzeit verzeichnet die App laut dem Analyse-Tool Airnow Data um die 600.000 Downloads pro Tag. Allein seit dem 9. Januar 2022 kommt die App so auf über fünf Millionen Downloads. Seit Tagen liegt Locket auf Platz 1 in den App-Charts für iOS. Auch in Deutschland liegt sie unter den Top 5.

Apple-Funktion als Sprungbrett

Bevor wir dazu kommen, wieso Locket gerade so beliebt ist, lohnt ein genauer Blick auf die Funktionsweise. Locket ist die erste iPhone-App, die Apples Widget-Funktion als Haupt-Feature so richtig erfolgreich einsetzt. Eigentlich dienen die 2020 mit iOS 14 eingeführten Widgets dazu, einzelne Funktionen von Apps auf dem Homescreen darzustellen – Kalendereinträge, Wettervorhersagen, Nachrichten, Fotos aus der eigenen Foto-Bibliothek. Und genau aus dieser Funktion hat Matt Moss ein Mini-Social-Network gebaut.

Nach dem Download der App geben Nutzende Zugriff auf die Kamera und die Kontakte. Danach lassen sich Bekannte per iMessage einladen. Wer jetzt das Locket-Widget seinem Homescreen hinzufügt, empfängt Bilder der hinzugefügten Freundinnen und Freunde, wenn sie diese mit der App verschicken. Die Fotos müssen direkt in der App gemacht werden, ein Zugriff auf die Foto-Bibliothek ist nicht möglich. Es geht um das Teilen von Echtzeit-Momenten mit engen Freund:innen – derzeit lassen sich fünf Kontakte hinzufügen.

Tiktok löst Hype aus

Aber wie konnte eine so einfach gestrickte App solche Download-Erfolge feiern? Die Antwort lautet wie so oft derzeit: Tiktok. Entwickler Matt Moss löst den Hype dabei selbst aus. Auf dem offiziellen Locket-Account postet er am 31. Dezember 2021 ein Video, das in schnellen Schnitten Fotos von ihm und seiner Freundin im Locket-Widget zeigt. Der Clip erreicht bis heute 561.000 Views auf der Plattform. Ein zweites Video mit der Ankündigung, dass die App live ist, ansonsten aber ähnlich aufgebaut ist, verzeichnet 235.000 Views

Inspiriert vom Stil des Videos beginnen Tiktok-Nutzende, den von Moss erstellten Hintergrundsound für eigene Clips zu nutzen. Viele zeigen dabei Fotos, die in ihrem Locket-Widget auftauchen. Über 3.000 Videos entstehen in kurzer Zeit mit dem Locket-Sound und tragen das Konzept so rasend schnell in die Köpfe der jungen Zielgruppe. Matt Moss sagt, das sei komplett organisch passiert. Er habe weder Influencer bezahlt, noch Ads auf Tiktok gekauft. Einzelne Videos gehen auch ohne bezahlten Push viral – den Clip dieser Tiktokerin haben sich bereits über fünf Millionen Nutzende angesehen. Genauso sieht es bei dieser britischen Tiktokerin aus, die gleich mehrere Videos zum Thema produziert und mit einem davon ebenfalls fünf Millionen Views erreicht.

Warum das so gut funktioniert? Locket löst in der jungen und technikversierten Zielgruppe durch seine Einfachheit direkt Lust aus, die App auszuprobieren. Die erfolgreichsten Tiktok-Clips erklären die Funktionsweise und scheinen damit einen Nerv zu treffen. Vor allem, weil die Nutzenden in den Videos ihre beste Freundin oder ihren Freund einbeziehen und direkt eine gefühlige Stimmung zum sehr technischen App-Tipp dazu kommt. Wie groß der Hype um Locket auf Tiktok ist, zeigt nochmal der Blick auf eines der erfolgreichsten Videos: Die Tiktokerin „eternalistic“ hat 14.000 Follower und der Großteil ihrer Videos landet bei knapp über 1.000 Aufrufen. Ihre vier Locket-Videos erreichen insgesamt über 6,5 Millionen Views.

Aufstieg in den App-Charts

Der Viralerfolg auf Tiktok entfacht ein Download-Feuer. All die über die Plattform kommenden User laden schließlich mindestens eine Person (meist sicher mehrere) dazu ein, Locket ebenfalls zu herunterzuladen. Dieser Netzwerkeffekt katapultiert die App in den Charts nach oben, was wiederum für weitere Downloads sorgt. Laut der Daten des Analyse-Tools Airnow halten beide Effekte derzeit an. Seit dem 9. Januar liegt die Download-Zahl stabil in der Region zwischen 500.000 und 600.000. 51 Prozent davon kommen demnach aus den USA, danach folgen Großbritannien und Kanada. In Deutschland wurde die App bisher über 120.000 Mal heruntergeladen. In den App-Charts liegt die App seit dem 9. Januar hierzulande zwischen Rang 3 und 5.

Download-Zahlen von Locket

Die beeindruckenden Download-Zahlen von Locket bisher (Quelle: Airnow Data).

Wie lange sich die Position halten lässt, ist nicht klar. In Deutschland gibt es sicherlich noch Wachstumspotenzial, allerdings investiert 1-Mann-Entwicklet Matt Moss derzeit kein Budget in Marketing. Eine Android-Version sei jedoch in Planung – hier sind Widgets schon seit dem Start des Betriebssystems gelernt und so könnte nochmal eine Vielzahl an Android-Nutzenden dazukommen. Nicht jeder hat schließlich nur Freund:innen mit iPhones.

Was kann man daraus bauen?

Für Moss dürfte es jetzt darum gehen, den Download- auch in einen Umsatz-Erfolg zu verwandeln. Noch gibt es hinter der App kein Geschäftsmodell. Der Entwickler plane aber schon weitere Schritte. Ein Abo-Modell sei in Arbeit. Er könne sich außerdem vorstellen, noch weitere Widget-Apps mit anderen Funktionen zu veröffentlichen. Bisher downloaden nur 15 Prozent der iPhone-Nutzenden Widgets. In der iOS-Welt hat Moss damit vielleicht die größte Lücke identifiziert. Auch Locket will er erweitern. Er glaube an Potenzial über den reinen Austausch von Fotos über ein Widget hinaus. So seien Funktionen denkbar, die sinnvoll werden, wenn Nutzende eine größere Anzahl an spontanen Bildern über Locket miteinander geteilt haben. „Ich denke, rund um enge Freund:innen und die Familie könnten bedeutsame Dinge gebaut werden“, so Moss. „Menschen, vor allem jüngere, sind genervt von Apps, bei denen Werbung und Erfolgskennzahlen im Mittelpunkt stehen.“

Worin der Locket-Macher das größte Problem anderer Social-Plattformen sieht? „Am Ende haben wir riesige Freundeskreise in den Apps – mehrere Tausend Leute auf Instagram oder Hunderte enge Freund:innen, mit denen man schreibt. Das ist vor allem Aufwand“, so Matt Moss. „Meine Idee ist es, etwas zu bauen, was besser zum Kreis der fünf oder zehn engsten Menschen passt. Ich will einen Weg finden, damit sich das Smartphone wieder persönlicher und auf Menschen abzielend anfühlt – im Gegensatz zu den Kennzahlen der Apps. Und ich glaube, dafür gibt es eine riesige Nachfrage.“ Noch steht die Geschichte von Locket aber am Anfang, wir werden beobachten, ob Moss ein echtes Business aus dem Millionen-Erfolg bauen kann.

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MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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