Handynummer statt Cookie: Vodafone testet mit Trustpid eine neue Tracking-Lösung

Kann das ein Gegenmittel zur "Cookiecalypse" sein?

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Wie kann Werbung im Netz künftig noch personalisiert ausgespielt werden, wenn Cookies immer häufiger blockiert werden? Auf diese Frage suchen Advertiser und Marketingdienstleister aktuell händeringend eine Antwort. Angeführt von Vodafone wollen nun offenbar mehrere Mobilfunkkonzerne den Werbetreibenden ein Angebot machen. Mit „Trustpid“ sollen sie künftig Verbraucher:innen auf Basis ihrer Mobilfunknummer Werbung gezielter ausliefern können. OMR erklärt, was dahinter steckt.

„Ihre Mobilfunknummer und IP-Adresse werden von Ihrem Netzbetreiber, z. B. der Vodafone GmbH oder der Telekom Deutschland GmbH, verwendet, um eine pseudonyme Kennung zu generieren, auf deren Grundlage wir Ihre eindeutige Netzwerkkennung (‚Trustpid‘) als Pseudonym erstellen“, heißt es in den „Datenschutzhinweisen“ auf Trustpid.com. Wenn die Mobilfunk-Nutzer:innen dann eine der Websites, auf denen Trustpid zum Einsatz kommt, aufrufen, wird ihnen dort – wenn sie dem zustimmen – eine weitere Nummer zugewiesen, ist den „Hinweisen“ zu entnehmen. Auf diese Weise sollen Nutzer:innen im mobilen Internet von den Trustpid-Betreibern Website-übergreifend wiedererkannt werden. Das Ziel: die Personalisierung von Werbung und Messung der Wirksamkeit der Werbung.

„Versuch“ und „technische Feldtests“

„Trustpid ist eine technische Lösung für digitale Werbung in Europa, bei der die Zusammenarbeit von Nutzern, Marken und Werbetreibenden im Fokus steht“, so ein Vodafone-Sprecher gegenüber OMR. „Ziel ist es, einen neuen Weg zu finden, damit Marken und Werbetreibende weiterhin im Internet werben können und Internet-Nutzer zugleich neue Möglichkeiten erhalten, ihre Online-Privatsphäre zu kontrollieren.“ Der Sprecher betont, dass es sich dabei ausdrücklich um einen Versuch handele, „bei dem Vodafone und die Deutsche Telekom technische Feldtests mit einigen Kunden, Werbetreibenden und Verlagen durchführen“.

Ein Sprecher der Telekom bestätigte gegenüber OMR, dass das Unternehmen an dem Test teilnimmt: „Das Thema Werbung im Internet liegt aktuell in den Händen weniger Plattformbetreiber aus den USA. Wie die mit Daten umgehen, ist für Kundinnen und Kunden schwer zu sehen und kaum zu kontrollieren. Gerade die Werbetreibenden in Europa, aber auch viele Verlage suchen daher nach Wegen, unabhängiger zu werden. Und zwar so, dass gleichzeitig die europäischen Schutz-Standards gewahrt bleiben.“

Bild.de gehört zu den ersten Test-Websites

Trustpid-Banner auf Bild.de

Wer Bild.de auf einem mobilen Browser über eine mobile Internetverbindung aufruft, wird aktuell nach einer Einwilligung zur Nutzung der Trustpid gefragt (Screenshot)

So offen Werbetreibende und Marketingdienstleister für ein solches Angebot auch sind – es dürfte nicht die reine Philanthropie sein, die die Mobilfunkfirmen dazu antreibt, ein Modell wie Trustpid zu testen. Die Vermutung liegt nahe, dass Werbetreibende, Dienstleister oder Website-Betreiber:innen für die Nutzung des Dienstes zahlen müssen. Auf Anfrage von OMR wollte Vodafone zum Geschäftsmodell von Trustpid keine Angaben machen.

An dem derzeitigen Trustpid-Test ist offenkundig Bild.de beteiligt. Vodafone-Nutzer:innen, die die Website im mobilen Browser aufrufen, werden dort aktuell in einem Banner um ihre Einwilligung in die Nutzung ihrer Trustpid gebeten. Zu den ersten Partnerunternehmen gehört offenbar auch die Hamburger Mediaagentur Pilot, wie der österreichische Datenschutzaktivist Wolfie Christl entdeckt hat. Zumindest klärt die Agentur in ihren Datenschutzbestimmungen über die Verwendung von Trustpid auf. Gegenüber OMR wollte das Unternehmen dazu keine weiteren Angaben machen.

Werden sich andere europäische Telkos anschließen?

Auf Netzbetreiberseite ist Vodafone offenbar bei Trustpid federführend. Die Website Trustpid.com wird von Vodafone betrieben; der Konzern hält auch die Markenschutzrechte am Begriff „Trustpid“. Darüber hinaus gibt es Indizien dafür, dass sich neben der Telekom weitere europäische Telko-Konzerne Trustpid anschließen könnten. Ein sich darauf beziehender Teil des Programmier-Codes von Prebid (ein Service, der bei der Versteigerung von Werbeplätzen zum Einsatz kommt) soll offenbar auch auf Domains des französischen Telko-Konzern Orange und des spanischen Mobilfunkanbieters Telefónica (O2) verweisen. Vodafone machte dazu gegenüber OMR keine Angaben; sowohl Orange als auch Telefónica haben eine entsprechende E-Mail-Anfrage von OMR nicht beantwortet.

Der aktuelle Test von Vodafone und der Telekom scheint mindestens seit Ende Februar 2022 zu laufen; zumindest datiert die Seite auf Bild.de, auf der die Nutzer:innen ihren Trustpid-Opt-in widerrufen können, auf den 28. Februar. Unter der Headline „Die Rückkehr der Super-Cookies“ berichtete der Spiegel vor wenigen Tagen erstmals über Trustpid. Anfang April hatte bereits der der früher in der Online-Vermarktung von Gruner+Jahr tätige Berater Oliver von Wersch auf Linkedin auf die Verwendung von Trustpid bei Bild.de hingewiesen.

Kontroverse um die Datenschutzkonformität

Wenige Tage später setzte sich auch der bei der Washington Post angestellte Programmierer Aram Zucker-Scharff, der sich auf Datenschutz in der Online-Werbung spezialisiert hat, auf Twitter kritisch mit Trustpid auseinander. Er ist nicht der einzige, der mit Blick auf das Thema datenschutzrechtliche Bedenken anmeldet. SPD-Europaabgeordneter Tiemo Wölken (u.a. Mitglied im Rechtsausschuss) kritisierte Trustpid auf Twitter. Ein Sprecher der Datenschutzbehörde Nordrhein-Westfalen hinterfragte gegenüber dem Spiegel die Wirksamkeit der Einwilligung. Die Behörde des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) erklärte in einem Post auf dem Social-Media-Dienst Mastodon, dass ihr das Projekt 2021 vorgestellt worden sei, betonte jedoch gleichzeitig, dass noch „keine abschließende Projektbewertung“ vorgenommen worden sei.

Vodafone bezeichnet das Verfahren in einem OMR vorliegenden Statement als „transparent, sicher und DSGVO-konform“. Die Verbraucher:innen müssten aktiv ihre Einwilligung auf jeder teilnehmenden Webseite separat erteilen, also ein Opt-in geben. Über die Trustpid-Website könnten Teilnehmer ihre Einwilligung jederzeit widerrufen, den Dienst vollständig deaktivieren sowie Präferenzen individuell anpassen. „Datenschutz steht bei Vodafone an erster Stelle und wir nehmen den Schutz der Privatsphäre, Datensicherheit und die Einhaltung der Gesetze zum Datenschutz sehr ernst“, so ein Sprecher. „Abgesehen von einem ‚Marketing-Token‘, der digitales Marketing erst möglich macht, werden keine weiteren Daten von Vodafone oder der Deutschen Telekom an andere Parteien weitergegeben.“

Die Cookies sterben langsam aus

Sollten im Rahmen von Trustpid wirklich keine weiteren Daten erhoben und weitergegeben werden, dürfte das Verfahren vor allen Dingen erst einmal für das so genannte Frequency Capping und für Retargeting eingesetzt werden. Bei Frequency Capping limitieren Advertiser die Zahl der Werbekontakte pro Nutzer:in, damit nicht ein und dieselbe Werbung immer wieder denselben Verbraucher:innen angezeigt wird. Beim Retargeting werden Nutzer:innen, die eine bestimmte Produktseite aufgerufen oder ein Produkt in den Warenkorb gelegt haben, mit personalisierten Werbemitteln nochmals angesprochen.

Die Möglichkeiten der Digital-Marketing-Branche, Online-Werbung zu personalisieren, sind in den letzten Jahren immer stärker eingeschränkt worden. Durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und den strikteren Zwang zu einem Opt-in können Website-Betreiber:innen und Dienstleister immer seltener Cookies setzen. Browser wie Mozillas Firefox und Apples Safari blockieren bereits seit 2019 bzw. 2020 so genannte Third Party Cookies; Google hat das Auslaufen von Third Party Cookies für 2023 angekündigt. Auf dem iPhone müssen nach der Einführung von Apples App Tracking Transparency nun Apps, die Nutzer:innen übergreifend tracken wollen, ebenfalls eine Zustimmung einholen.

„Fortführung steht noch nicht fest“

Aus Verbrauchersicht ist es ohne Wenn und Aber begrüßenswert, dass diese selbst bestimmen können, wann und wo Daten über sie gespeichert werden. Aber nicht nur Werbetreibende klagen über eingeschränkte Möglichkeiten. Auch Verlage und andere Website-Betreiber monieren, dass es ihnen durch diese Entwicklung deutlich schwerer gemacht wird, ihre Inhalte zu refinanzieren. Branchenexpert:innen gehen außerdem davon aus, dass durch die Entwicklung die großen, vor allen Dingen US-amerikanischen Digitalkonzerne wie Google eher noch gestärkt werden.

Diverse kleinere Player, versuchen seit ein bis zwei Jahren, neue Möglichkeiten zu entwickeln, um Nutzer:innen im Netz wieder identifizieren zu können. Der Online-Werbemarktplatz Index Exchange listet aktuell zwölf so genannte „Universal IDs“ auf, die auf der Plattform unterstützt werden – darunter auch Trustpid. In den USA haben Mobilfunkanbieter wie AT&T, Verizon und auch T-Mobile nach und nach damit begonnen, Targeting auf Basis ihrer Nutzerdaten anzubieten – ein Teil von ihnen offenbar sogar nicht auf Opt-in-, sondern auf Opt-out-Basis. Ob Vodafone Trustpid in Europa offiziell launchen wird, ist nach Darstellung des Unternehmens aktuell noch nicht sicher: „Ob und wie das Verfahren nach Abschluss der Testphase überhaupt fortgeführt wird, steht noch nicht fest. Es handelt sich lediglich um einen Machbarkeitstest mit einem ausgewählten Medienpartner, bei dem nur Kunden teilnehmen, die ihr Einverständnis zu diesem Zweck gegeben haben“, so ein Sprecher.

Offenlegung: Vodafone ist Sponsor von OMR. Dieser Artikel ist redaktionell unabhängig von dieser Partnerschaft entstanden.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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