Kuriose Personal Brands auf Tiktok: Bestatter, Fahrlehrer & Makler mit Millionen von Views

Best Practice Tiktok Marketing: Wir zeigen, mit welchen Themen Einzelunternehmer auf der Plattform erfolgreich sind

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Von links: Luis Bauer von Bestattungen Burger aus Fürth, Psychologin Linda Leinweber aus Fulda und Brotsommelier Ricardo Fischer aus Leipzig: Alle drei haben mit Videos auf Tiktok Millionenreichweiten generiert

„Marketing auf Tiktok? Das ist doch Quatsch und für mich sowieso nichts“ – so denken vermutlich viele Einzelunternehmer. Dabei sind auf der Plattform diverse Kleinunternehmer aus den verschiedensten Sparten aktiv; von Handwerkerinnen und Handwerkern über Psychologinnen bis hin zu Steuerberatern. Einige von ihnen verzeichnen Abrufzahlen im deutlich zweistelligen Millionenbereich. OMR hat einige der erfolgreichsten und spannendsten deutschen „Personal Brands“ auf Tiktok aufgestöbert, erklärt, mit welchen Themen sie ihre Reichweite aufgebaut haben, und zeigt ihre erfolgreichsten Videos.

Seinen Anfang genommen hat das Thema „Deutsche Personal Brands auf Tiktok“ vermutlich in Unna im Ruhrgebiet. Im November 2019. lud dort Tim Hendrik Walter, Fachanwalt für Familienrecht, inspiriert von Freunden und dem US-Digitalunternehmer Gary Vaynerchuk, sein erstes Video auf Tiktok hoch. Unter dem Namen „Herr Anwalt“ (wir haben bereits vor gut einem Jahr über ihn berichtet) steigt Walter innerhalb weniger Monate zur Tiktok-Prominenz auf.

Die Zuschauer davon abhalten, im Feed weiterzuwischen

Walter beantwortet in seinen Videos rechtliche Fragen, die für die großteils jugendliche Zielgruppe der Plattform relevant sind: „Dürfen Eltern alle Handynachrichten lesen?“ „Darf der Lehrer mich bestrafen, wenn der Bus zu spät war?“ „Muss ich die Jacke in der Schule ausziehen?“ Die Videos sind so gestaltet, dass sie all jene, die sich durch Tiktoks „Für Dich“-Seite wischen, dazu bringen sollen, nicht weiterzuscrollen: Die zentrale Frage illustriert Walter in der Regel gleich zu Anfang an einem Beispiel, dann nennt er (für die Wiedererkennbarkeit) den Formatnamen („Eine Minute Jura!“) und gibt schließlich ein gut verständliche Antwort.

3,3 Millionen Follower und 546 Millionen Views hat „Herr Anwalt“ auf diese Weise mittlerweile angesammelt. Und der Erfolg auf Tiktok strahlt auch auf seine Präsenzen auf anderen Plattformen ab: Auf Instagram folgen Walter knapp eine halbe Million Menschen, sein Youtube-Kanal verzeichnet 72.000 Abonnenten.

„Ich könnte die Anfragen gar nicht mehr verarbeiten“

Zehn bis 20 Prozent seiner Mandate seien auf Tiktok zurückzuführen, erklärt Walter noch Anfang 2020, als ihm noch „nur“ 466.000 Menschen auf Tiktok folgen, gegenüber OMR. Mittlerweile erhält er so viele Anfragen über seine Social-Accounts, dass er kaum mehr dazu kommt, diese zu beantworten. „Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich könnte das gar nicht verarbeiten, als Einzelanwalt“, so Walter in einer Folge des OMR Podcasts. Viele erhoffen sich auch eine kostenlose Rechtsberatung. Er müsste vermutlich erst einmal von ein paar Studenten herausfiltern lassen, welche Anfrage Potenzial auf ein Mandat hat.

Der Werbegedanke stehe aber überhaupt nicht im Fokus seiner Aktivitäten, so Walter weiter. „Mein Antrieb ist intrinsisch, ich bin neugierig und finde Social Media geil.“ Auch wenn der Jurist nicht für seine eigenen Dienstleistungen wirbt, so hat er zuletzt doch öfters als „Influencer“ für andere Unternehmen geworben: für Mercedes-Benz beispielsweise, und zuletzt für die Handelskette Kaufland.

Tiktok investiert 4,5 Millionen Euro

Im vergangenen Jahr haben im Fahrwasser von Walter diverse andere Einzel- und Kleinunternehmer versucht, sich auf Tiktok mit Erklärvideos selbst als Personenmarken zu etablieren. Einige von ihnen orientieren sich dabei offensichtlich sehr stark an den von „Herrn Anwalt“ erfundenen Formaten. Christoph Flittner beispielsweise, der im bayerischen Erding eine Fahrschule betreibt: Er hat als „Herr Fahrschule“ ebenfalls das Format „Eine Minute Fahrschule“ etabliert. Der Freiburger Betriebswirt Fabian Walter alias „Steuerfabi“ nutzt zumindest den Hashtag #1MinuteSteuern.

Tiktok-Betreiber Bytedance will Wissens-Inhalte und damit auch „Experten-Creator“ (und „Personal Brands“ gezielt fördern: Im Juni 2020 erklärte das Unternehmen, im Rahmen der Initiative „Lernen mit Tiktok“ in Deutschland 4,5 Millionen Euro in Lerninhalte investieren zu wollen. Unter dem Namen „Lerniversum“ haben sich außerdem 18 „Wissens-Creator“ in Eigeniniative zusammengeschlossen.

Wir haben einige der erfolgreichsten „Personal Brands“ und „Experten Creator“ aufgestöbert und zeigen ihre erfolgreichsten Videos. Die Angaben der Gesamt-Views der einzelnen Creator stammen jeweils aus dem Tool Infludata.

doc.felix: 476.300 Follower und 56,7 Millionen Views

Das Thema Gesundheit geht alle an – und kann dementsprechend auch auf Tiktok gut funktionieren, wie Felix Berndt zeigt. Der durchtrainierte 28-Jährige hat in Düsseldorf ein Medizinstudium absolviert und ist seit knapp drei Jahren als Arzt auf Social Media aktiv (hier ist er im OMR Education Podcast zu Gast).

In den Videos seines Tiktok-Accounts hat sich „doc.felix“ in den vergangenen Wochen und Monaten wenig überraschend viel mit dem Corona-Virus auseinandergesetzt. Ansonsten drehen sich die Clips um alle Themen, die mit dem menschlichen Körper und dessen Gesundheit zu tun haben – von Fingerknacken bis Kopfschmerzen. Einen Schwerpunkt legt Berndt vor allem die Themen, die junge (aber seien wir ehrlich: auch viele andere) Menschen vermutlich am meisten interessieren: Sex und besser Aussehen (Abnehmen, Muskelaufbau…).

Sein mit 6,5 Millionen Views erfolgreichstes Video dreht sich um eine optische Täuschung durch Ermüdung der Sehnerven. In einem anderen Video mit 2,6 Millionen Views erklärt Berndt, warum die Zuschauenden keine Wattestäbchen nutzen sollten, um die Ohren von Ohrenschmalz zu reinigen. Ein weiterer Clip, in dem doc.felix erklärt, dass sich die Antibabypille negativ auf die Libido auswirken kann („Warum habe ich keine Lust mehr auf Sex?“), verzeichnet 1,2 Millionen Views.

Berndt verkauft ein E-Book mit 15 Rezepten für eine gesunde Ernährung. Mit der Psychologin Ricarda Suska veröffentlicht er darüber hinaus regelmäßig neue Folgen des Podcasts „Psycho und Doc“.

„Karriereguru“: 401.000 Follower und 46,9 Millionen Views

„Nr. 1 Hack für eine Gehaltserhöhung“, „Fiese Frage im Job-Interview“, „Drei Tipps gegen Blackout in der Prüfung“ – die Videos auf Tobias Josts (alias „Karriereguru) Tiktok-Account drehen sich um Ausbildung, Beruf und Karriere. In seinem mit 2,2 Millionen Views erfolgreichsten Video erklärt er, welche Antwort Job-Bewerber auf die Frage „Was ist Deine größte Schwäche“ geben sollten.

Jost ist ursprünglich Unternehmer und hat den Münchner Obst- und Gemüselieferservice Frugee sowie das Technologie-Startup Hackerbay mitgegründet. Heute bezeichnet er sich auf seinem LinkedIn-Profil als „Deutschlands beliebteste[n] und reichweitenstärkste[n] HR-Creator in Social Media“. Er ist nicht nur auf Tiktok aktiv, sondern auch auf Instagram (46.200 Follower), Youtube (12.700 Abonnenten) und Discord (rund 1.700 Mitglieder). Die Reichweite, die er bei Jobsuchenden und Arbeitnehmern aufgebaut hat, vermarktet er an Unternehmen: Auf seiner Website und in seinem Youtube-Kanal promotet er große Arbeitgeber wie Bayer, Otto und SAP.

Jost ist nicht der einzige, der sich auf Tiktok mit Themen wie Karriere, HR und Recruiting beschäftigt. „Karrierecoach“ Kenneth Simon verzeichnet 54.000 Follower und 5,4 Millionen Views; Gesine Schulz alias „diepersonalabteilung“ kann 27.000 Follower und 6,5 Millionen Views vorweisen.

Bestattungen Burger: 229.000 Follower und 43,1 Millionen Views

Luis Bauer ist 15 Jahre alt, Schüler, arbeitet bei seinem Vater auf 450-Euro-Basis und dreht über diesen Job Tiktok-Clips. Der eher ungewöhnliche Teil: Luis‘ Vater Johannes ist Bestatter. „Mein Ziel ist es, das Thema Tod so darzustellen, dass es kein Tabu mehr ist“, sagt Luis in einem Interview auf dem Youtube-Kanal von Coaching-Anbieter Michael Leibrecht.

Das am häufigsten abgerufene Video auf dem Tiktok Account von „Bestattungen Burger“ aus dem fränkischen Fürth dreht sich darum, wie Bestatter vorgehen, wenn ein Mensch vom Zug überfahren wird. Ein anderer Clip, in dem Luis erklärt, wie Verstorbenen dauerhaft die Augen verschlossen werden, verzeichnet 3,8 Millionen Views. Insgesamt haben 14 Videos des Accounts mehr als eine Million Aufrufe. Im Gespräch mit Michael Leibrecht erklären Vater und Sohn, dass bei einem Livestream auf Tiktok schon einmal 1.200 Menschen zugeschaut hätten.

Schon vor Tiktok war Unternehmensinhaber Johannes Bauer in der digitalen Sphäre sehr aktiv: Seine Website sei für Suchmaschinen optimiert und er schaltet Googles Ads, erklärt er in dem Interview. Auf Facebook verzeichnet der Bestatter rund 1.200 Follower, auf Instagram 2.250 Follower und der Youtube-Kanal hat eine Dreiviertelmillion Aufrufe angesammelt.

Das Engagement auf Tiktok habe u.a. zu spürbaren Auswirkungen auf anderen Plattformen geführt; so Luis. So sei die Zahl der Instagram Follower deutlich gestiegen. Außerdem haben sich über Tiktok User auf Praktika bei ihnen geworben. Andere hätten nach Flyern mit Informationen über die von dem Unternehmen angebotenen Produkte gefragt. Im Online-Shop auf der Website sind u.a. Schmuckstücke erwerbbar, in die die Fingerabdrücke von Verstorbenen eingearbeitet werden. Interessenten von außerhalb könnten sich dafür auch ein Kit zur Abnahme der Fingerabdrücke bestellen, so Inhaber Johannes Bauer.

Steuerfabi: 323.000 Follower und 33,6 Millionen Views

„Ich möchte den Leuten ein bisschen was über Steuern beibringen“, so Fabian Walter alias „Steuerfabi“, in einem Interview. Walter hat früher für eine Steuerkanzlei gearbeitet; heute ist er für die Haufe Group tätig, die Wissensdatenbanken im Steuerbereich erstellt. Nicht jeder müsse detailliertes Steuerwissen haben, so Walter, „aber in Grundzügen sollte man sich schon auskennen, da dieses Thema jeden betrifft und hier viele unnötig Geld verschenken.“

„Steuerfabis“ Tiktok-Videos drehen sich dementsprechend um Fragen wie: „Wie man steuerfrei Geld für den Urlaub“, „Wie man als Geringverdiener 960 Euro im Jahr mehr bekommt“ oder „Wie viel Biersteuer ist auf einem Kasten Bier?“: Um Tipps und Infos wie diese drehen sich die Tiktok-Videos von Fabian Walter. In seinem mit zwei Millionen Views erfolgreichsten Video beantwortet Walter die Frage: „Warum dein Chef dir lieber 451 anstatt 450 zahlt“.

Lieblingsmakler: 194.000 Follower und 21,5 Millionen Views

„Orte, von denen jeder träumt!“, lautet die Tagline auf dem Tiktok-Account der beiden „Lieblingsmakler“ Michael Rudkowski und Philipp Hag vom Kölner Immobilienmakler Rudkowski & Hag. Die beiden schätzen in ihren Videos den Wert von berühmten Immobilien, zeigen, wie reichweitenstarke Influencer und Creator wie Charli und Dixie D’Amelio oder Bianca Claßen alias BibisBeautyPalace wohnen und zeigen schöne und ungewöhnliche Immobilien. Eines ihrer abrufstärksten Videos (zwei Millionen Views) dreht sich darum, wie Angela Merkel wohnt.

Brotprofi: 153.200 Follower und 20,6 Millionen Views

„Wie lagert man Brot am besten?“, „Welches Equipment braucht man zum Brotbacken“, „Das richtige Brotmesser“ – um Themen wie diese drehen sich die Tiktok-Videos des „Brotprofis“, Bäckermeister und Brotsommelier Ricardo Fischer aus Lossatal in der Nähe von Leipzig. In seinem erfolgreichsten Video (4,8 Millionen Views) bereitet Fischer ein Sauerteigbrot zu, das er vor dem Backen mit Rasierklingen einritzt. Ebenfalls hohe Abrufzahlen verzeichnen ein Video über vegane Brotchips sowie über ein „Minecraft-Brot“ (beide jeweils 2,3 Millionen Views).

Herr Fahrschule: 302.000 Follower und 16,2 Millionen Views

Ist Driften erlaubt? Sollte man den Motor eines Autos im Winter warm laufen lassen? Ist die Nutzung eines Park-Lenk-Assistenten in der Führerscheinprüfung erlaubt? Fragen dieser Art beantwortet Christoph Flittner alias „Herr Fahrschule“ auf seinem Tiktok-Account. Das mit 2,2 Millionen Views abrufstärkste Tiktok-Video des Fahrlehrers informiert die Zuschauer darüber, dass die Führerscheinprüfung im Jahr 2021 teurer wird.

Aktienfreunde: 57.300 Follower und 15 Millionen Views

„Soll ich die Gamestop-Aktie jetzt noch kaufen?“, „Die Top 3 Neukäufe im Januar“, „Dividende einfach erklärt“: drei typische Titel von Tiktok-Videos des Darmstädters Kelvin Jörn. Unter dem Namen „Aktienfreunde“ erstellt Jörn Inhalte rund um die Börse und den Kapitalmarkt. Seine Reichweite moneratisiert er mittels Affiliate-Links. Sein mit 1,5 Millionen Views am häufigsten abgerufenes Videos ist eine Werbung für die App Finanzguru.

Psychologin Linda: 112.000 Follower und 6 Millionen Views

„3 Tipps für mehr Selbstbewußtsein“. „So hörst Du auf, Dinge aufzuschieben.“ „Geheimtipp für Beziehungen.“ Linda Leinweber befasst sich als „Psychologin Linda“ in ihren Tiktok-Videos mit der menschlichen Psychologie und dem Zwischenmenschlichen. Die Fuldaerin generiert auf diese Weise auch Aufmerksamkeit für ihr Beratungsgeschäft: Leinweber coacht im Unternehmensauftrag Teams in Sachen Psychische Gesundheit und Vorsorge. Ihr bislang meistgesehenes Videos dreht sich um das Thema funktionale Depression.

Versicherungen mit Kopf: 104.000 Follower und 3,6 Millionen Views

„So funktioniert die private Haftpflichtversicherung.“ „Warum du WIRKLICH eine Hausratsversicherung brauchst“. „Wie viel kostet eine Berufsunfähigkeitsversicherung für Studenten?“ Fragen wie diese beantwortet Bastian Kunkel auf seinem Tiktok-Account unter dem Namen „versicherungenmitkopf“. In seinem erfolgreichsten Video (693.000 Views) rechnet Kunkel vor, wie viel man sparen kann, wenn man mit dem Rauchen aufhört und 15 Jahre lang durchhält.

Seit dem Jahr 2015 ist Kunkel von München aus als freier Versicherungsmakler tätig, auf seiner Website führt Kunkel mittlerweile sieben Kollegen auf. Gleich zum Start richtete Kunkel einen Youtube-Kanal ein, der bislang knapp drei Millionen Views und 33.500 Abonnenten verzeichnet. Seit April 2020 ist er auch auf Tiktok aktiv.

„Wir gewinnen tatsächlich auch Kunden über Tiktok“, schreibt Kunkel in einem Post auf LinkedIn anlässlich des Erreichens von 100.000 Followern. „Die Masse kommt aber weiterhin über Youtube, Instagram und Google.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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