„Ein extrem mächtiges Tool“: So günstig kaufen Advertiser gerade Reichweite auf Tiktok ein

Mehrere deutsche Werbetreibende ziehen ein erstes Fazit zum Selbstbuchungs-Tool

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Wie groß ist das Potenzial von Tiktok als Werbeplattform – und können jene, die dort frühzeitig aktiv werden, von First-Mover-Vorteilen profitieren? Diese Fragen stellen sich gerade viele in der Online-Marketing-Szene. Am 8. Juli hat Tiktok-Betreiber Bytedance damit angefangen, das Tiktok Selbstbuchungs-Tool in Deutschland nach und nach für weitere Advertiser zu öffnen. Wir haben drei davon zu ihren ersten Erfahrungen befragt.

Jason Modemann

„Tiktok ist ein extrem mächtiges Marketing-Tool, mit dem man mit sehr wenig Budget extrem viele Menschen erreichen kann“, sagt Jason Modemann, Mitgründer von Mawave, gegenüber OMR. Die Münchner Social-Media-Performance-Marketing-Agentur schaltet laut Modemann seit etwa zehn Tagen über das Self-Service-Took Ads auf Tiktok. Zu den mittlerweile schon 15 Kunden, für die Modemann und sein Team Tiktok-Ads schalten, gehören beispielsweise das Reiseportal Urlaubsguru, die Sockenmarke Snocks, die Dating-App Onlyone und das Unternehmen Naturkosmetik München. „Seit dem Start haben wir im Auftrag unserer Kunden insgesamt einen fünfstelligen Betrag in Tiktok Ads investiert.“

Ein Cent pro Click

Die CPM-Preise (Cost-per-Mille), die Mawave über das auf Auktionsbasis funktionierende Werbe-Tool generiert, liegen durchschnittlich bei 20 Cent, der CPC (Cost-per-Click) bei ein bis zwei Cent. Im Agenturblog und im Business-Netzwerk LinkedIn berichten die Mawave-Mitarbeiter vom Case ihres Kunden SNKRADDICTED, einer App, die Sneaker-Fans über neue Modelle informiert (und bei einem Kauf eine Provision kassiert). Mit Tiktok Ads für die App hat Mawave zum Preis von 800 Euro 50.000 Klicks und etwa 16.000 App-Installationen generiert, was einem Cost-per-Install von fünf Cent entspricht. Alles Werte, die andere Digital-Marketing-Macher aufhorchen lassen dürften.

Schon im April hatte Online-Marketing-Experte Sebastian Vogg in einem Gastbeitrag für OMR zu Tiktok Ads das Fazit gezogen: „Mehr Reichweite für weniger Kohle geht (fast) nicht.“ Zum damaligen Zeitpunkt war der Zugriff auf Tiktoks Ad-Tool nur per Einladung möglich. Im Juli vermeldete Tiktok dann per Pressemeldung den offiziellen Start des Tools in Deutschland. Doch immer noch können Interessierte aktuell lediglich ein Formular ausfüllen und hoffen, dass sich das Tiktok Sales-Team bei ihnen meldet. Aus dem Markt ist zu hören, dass derzeit viele Agenturen und Marketingmacher auf eine Freischaltung warten. „Die Self-Service-Plattform ist aktuell im Test mit ausgewählten Partnern, wird aber ab Herbst generell für Deutschland geöffnet sein“, so eine Tiktok-Sprecherin gegenüber OMR.

„Mach keine Werbung, mach Tiktoks“

Eine Tiktok Ad für die SNKRADDICTED-App (Quelle: Mawave)

Was rät Jason Modemann all jenen, die spätestens dann Zugriff auf das Tool erhalten und Werbung bei Tiktok schalten werden? „Auf der Business-Website von Tiktok heißt es ja ‚Don’t make ads, make Tiktoks‘. Das ist auch unsere Erfahrung“, so der junge Agenturgründer. Die Performance der Werbung hänge stark davon ab, wie die Werbemittel gestaltet seien. „Je mehr die Ads wie andere Videos auf Tiktok aussehen, desto besser funktionieren sie.“

Außerdem empfiehlt Modemann, mit Tiktok Ads eher auf „Soft Conversions“ abzuzielen – „also Gewinnspiele, App Installs, Newsletter-Abos, jede Art von Lead Generierung.“ Der 23-Jährige sieht Tiktok eher im oberen bis mittleren Funnel, also eher geeignet zur Generierung von Aufmerksamkeit bzw. zum Informieren über Produkte. „Ich bin nicht sicher, ob sich Tiktok sich für E-Commerce-Ads eignet und ob man mit den Anzeigen direkt auf Sales gehen sollte.“

Gesamtbudget von 300.000 Euro im August?

Eine weitere Einschränkung: „Unsere Erfahrung ist, dass sich nicht immer das gesamte veranschlagte Budget sinnvoll ausgeben lässt. Denn irgendwann steigt die Frequenz, mit der den einzelnen Nutzern die Anzeige ausgespielt wird, so an, dass es nicht mehr sinnvoll ist.“ Im August wolle Mawave für die Agenturkunden voraussichtlich zwischen 200.000 und 300.000 in Tiktok Ads investieren; auch, weil noch neue Kunden hinzukommen sollen. „Wobei wir aus den genannten Gründen schauen müssen, ob wir das Geld wirklich ausgegeben bekommen.“

Jan Stranghöner

Die Kölner Agentur Social Marketing Nerds ist ebenfalls seit Anfang Juli auf Tiktok aktiv – bislang für einen Kunden, das vegane Kosmetik-Label Kupfergrün, hinter dem das Youtuber-Ehepaar Nadine und Philipp Steuer stehen. Mit weiteren Kunden sind Gründer Jan Stranghöner und Alexander Boecker aktuell im Gespräch. „Wir haben bislang einen vierstelligen Betrag auf Tiktok ausgegeben“, so Stranghöner gegenüber OMR.

Deutliche Differenzen in den Reportings

Alexander Boecker

Bereits nach einer Woche Tiktok-Ads-Nutzung hatte der Agenturmitgründer vergangene Woche auf LinkedIn über erste Ergebnisse berichtet. Zum damaligen Zeitpunkt hatte die Agentur ca. 520 Euro ausgegeben und dafür ca. 3,3 Millionen Impressions generiert, mit einem CPM von 15 Cent und einem CPC von 2 Cent. „Die Preise, die wir erzielen konnten, sind beeindruckend niedrig. Aber Tiktoks Metriken muss man manchmal auch hinterfragen“, so Alexander Boecker.

Zum einen habe die Agentur selbst mit Google Analytics deutlich weniger Klicks gemessen als Tiktok ausgewiesen habe: In Google Analytics seien 6.000 Klicks registriert worden, Tiktok habe die Zahl der Klicks mit 24.000 beziffert. Alle von OMR befragten Online-Marketing-Macher haben bei ihren Kampagnen ähnlich starke Differenzen festgestellt. „Tiktok erklärt nicht, was ein Klick ist – ob da beispielsweise auch Klicks innerhalb des Werbemittels gezählt werden“, so Jan Stranghöner von den Social Marketing Nerds. „Wenn man die Google-Analytics-Zahlen zugrunde legt, wären wir bei einem CPC von 18 Cent, das ist zwar nicht mehr ganz so günstig, aber immer noch okay.“

Wie aussagekräftig ist das aktuelle Attributionsmodell?

Eine Tiktok Ad von Kupfergrün

Auch bei den von Tiktok gemessenen Conversions gibt es Differenzen – aber hier ist das Verhältnis eher umgekehrt: „Wir haben doppelt so viele Conversions in Google Analytics gemessen wie Tiktok sich selbst zuweist“, so Alexander Boecker. Dies mag vor allem auf das Attributionsmodell von Tiktok zurückzuführen zu sein: „Tiktok attribuiert eine Conversion lediglich in der Session selbst.“ Der Nutzer muss also aus dem Werbemittel heraus auf der Website des Werbetreibenden direkt einen Kauf abschließen; ein späterer Kauf wird nicht mehr Tiktok zugerechnet. „Unsere Theorie ist, dass Tiktok die Nutzer außerhalb der Session nicht wieder identifizieren kann“, sagt Jan Stranghöner.

Jason Modemann bewertet dieses Attributionsmodell positiv: „Ich bin Fan davon, dass Tiktok – zumindest jetzt in der Anfangsphase – nur die Sales zählt, die während der Session stattfinden“, so der Mawave-Gründer. „Facebook attribuiert einen Sale ja bis zu 28 Tage nach dem Klick und bis zu einem Tag nach dem View. Würde man dieses Attributionsmodell auf Tiktok übertragen, würden Tiktok so viele Conversions zugeschrieben werden, dass es das Bild komplett verzerren würde.“

„Tiktok Ads sind noch in den Kinderschuhen“

Die Social Marketing Nerds haben für ihren Kunden Kupfergrün bislang zehn Conversions über Tiktok generieren können. „Damit sind wir noch lange nicht kostendeckend unterwegs. Aber wir sind da auch noch in einer frühen Phase“, so Alexander Boecker. „Zum einen merkt man, dass Tiktok Ads selbst noch in den Kinderschuhen sind. Das Targeting ist beispielsweise auch noch recht einfach gehalten. Zum anderen können wir die Traffic-Qualität erst nach einiger Zeit final beurteilen; etwa, wenn wir die Tiktok-User über einen längeren Zeitraum mit Retargeting-Kampagnen außerhalb der App angesprochen haben.“

„Ob Tiktok am Ende der Conversion-Treiber wird, müssen wir noch sehen“, sagt Jan Stranghöner. „Ich glaube aber, dass man nur mit Conversion-Kampagnen am Ende auch nicht glücklich wird. Es macht schon Laune, die Reichweiten zu sehen, die man auf Tiktok erreichen kann. Die Plattform kann auf jeden Fall ein guter Wachstumshebel in Zielgruppen sein, die zu erreichen auf Facebook und Instagram mittlerweile deutlich teurer ist.“ Kupfergrün habe beispielsweise den Website-Traffic durch Tiktok verdoppeln können.

Gibt es viele „Accidental Clicks“?

Nicholas Hänny

Auch das nachhaltige Schweizer Fashion-Label Nikin hat zuletzt Tiktok Ads getestet. „Wir haben mit 566 Euro innerhalb von drei Tagen 2,7 Millionen Impressions generiert“, so Mitgründer und CMO Nicholas Hänny im Gespräch mit OMR. CPM und CPC hätten in einem ähnlichen Bereich gelegen wie bei von Mawave und den Social Marketing Nerds genannten Zahlen. Als Creative diente eine bereits auf Snapchat eingesetzte Ad, in der ein weibliches Modell erklärt, das Nikin für jedes in seinem Online-Shop verkaufte Produkt einen Baum pflanzt

Auch der Nikin-Mitgründer registrierte eine deutliche Differenz bei den ausgewiesenen Klicks: „Tiktok weist 25.000 Klicks aus und Google Analytics 750. Eine Vermutung von mir ist, dass viele der Nutzer schon nach ein bis zwei Sekunden wieder von der Website abspringen und deswegen von Google gar nicht als Besucher gezählt werden. Oder es gibt eine interne Weiterleitung, durch die die UTM-Parameter fürs Tracking abgeschnitten werden.“

„Goldene Zeiten für Branding“

Auch andere Kinderkrankheiten der Plattform machen Hänny zu schaffen: „Es ist beispielsweise sehr mühsam, auf die Kommentare zu den Ads zu reagieren.“ Weil die Ads nicht mit einem User-Account verknüpft seien, kennen die Advertiser deren URLs nicht und können diese so nicht selbst gezielt ansteuern, um auf Fragen der Nutzer zu antworten. „Wir müssen die App selbst nutzen und hoffen, dass uns die Ads ausgespielt werden.“

Bisher habe Nikin lediglich drei Sales über Tiktok generieren können. „Wenn es langfristig so viele Sales bleiben, werden wir den Spend wieder herunterfahren. Erst wenn der Return-on-Advertising-Spend größer als eins ist, lohnen sich Tiktok Ads für uns“, so Hänny. Aktuell gebe es auf jeden Fall noch viel zu testen. „Der Traffic ist schon mega günstig; für Branding ist die Zeit auf Tiktok aktuell super.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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