Was die Tiktokisierung von Metas Plattformen für die digitale Werbebranche bedeutet

Torben Lux29.7.2022

Der Shift zu immer mehr Video und Recommendations sorgt für Kritik. Und dann ist da ja auch noch iOS14...

Meta Tiktokisierung Facebook Instagram

„Make Instagram Instagram again“ ist dieser Tage eine Forderung, die man häufiger liest und hört. Promis und Reichweiten-Stars wie Kylie Jenner und Kim Kardashian fordern es, eine entsprechende Petition (!) auf change.org wurde bisher über 230.000 Mal unterzeichnet. Hinter all der Aufregung stecken Metas jüngste Tests und weitere Pläne, Facebook und Instagram immer mehr zu Tiktok einer Video-Empfehlungs-Plattform zu machen. Auch wenn Instagrams CEO Adam Mosseri inzwischen ein wenig zurückgerudert hat, bleibt die Frage, wie viel „Social“ noch in sozialen Netzwerken steckt. Und was das – in Kombination mit Apples App Tracking Transparency – eigentlich für Advertiser bedeutet. OMR fasst die kuriose Meta-Woche zusammen.

Montag

Gemeinsam kommen sie auf 687 Millionen Follower auf Instagram: Die Halbschwestern Kylie Jenner (361 Millionen) und Kim Kardashian (326 Millionen) haben zwar offiziell nichts mit Meta zu tun, man könnte sie dennoch als Markenbotschafterinnen für Instagram bezeichnen. Seit Jahren liefern sie auf der Plattform Einblicke in ihre Privatleben, sind parallel nahezu durchgehend Gesprächsstoff im Boulevard rund um den Globus und haben so sicher einen nicht unwesentlichen Teil zum Wachstum von Instagram und der Creator Economy beigetragen. Wenn die inoffiziellen Werbegesichter statt Beziehungs- und Outfit-Updates dann aber plötzlich den Link zu einer Petition mit dem Titel „Make Instagram Instagram again“ posten, wird man vermutlich in Metas Headquarter im Menlo Park nicht schlecht geguckt haben.

Genau das ist am vergangenen Montag passiert. Und Jenner und Kardashian waren nicht die einzigen, die sich wünschen, dass Instagram nicht mehr versucht, wie Tiktok zu sein, wie es in der Beschreibung auf change.org heißt. Man wolle schließlich nur süße Fotos von Freund:innen sehen; über 230.000 Unterschriften hat die Petition bis heute gesammelt. Gestartet hatte diese kurz zuvor Tati Bruening. Der erste Post der 21-jährigen Influencerin hat bisher 2,2 Millionen Likes und über 42.000 Kommentare. Laut Daten des Analytics-Tools Socialblade konnte sie durch die Aufmerksamkeit rund 30.000 neue Follower gewinnen.

Dienstag

Die virale Empörungswelle kommt natürlich auch bei Instagrams CEO Adam Mosseri an. Regelmäßig erklärt er in Videos Updates und Entwicklungen der Plattform. So auch dieses Mal. „We are hearing a lot of concerns of all of you“, sagt er in dem rund zweieinhalb Minuten langen Clip gleich zu Beginn. Die Petition, Jenner oder Kardashian nennt er zwar nicht, aber es ist klar eine Reaktion darauf. Full-Screen-Videos seien nur Tests und noch nicht ausgereift, man werde auch in Zukunft immer Fotos supporten, die Relevanz von Video werde weiter steigen und Recommendations seien wichtig für Creator, um Reichweiten aufzubauen.

Auf Instagram wird der Beitrag mit aktuell fast 34.000 Kommentaren schnell zu seinem bisher meistdiskutierten Post, auf Twitter kommt das Video auf 2,3 Millionen Plays und über 11.000 Retweets. Die von Promis und Petition angeheizte Diskussion rund um die Tiktokisierung Instagrams und Mosseris Reaktion erfahren in Medien eine solche Aufmerksamkeit, dass sich auch das US-Satire „The Daily Show“ dem Thema widmet.

Mittwoch

Klar, der Termin zur Verkündung von Metas Quartalszahlen stand schon lange fest für eben diesen Mittwoch. Trotzdem kommt man nicht umhin, sich vorzustellen, wie die Stunden vor dem Earnings Call abgelaufen sein könnten (Achtung, Satire).

Adam Mosseri zu Mark Zuckerberg: „Mark, die User scheinen mit unseren Plänen nicht ganz glücklich zu sein. Können wir die Aufmerksamkeit irgendwie umlenken?“. Mark Zuckerberg zu Adam Mosseri: „Kein Problem, ich verkünde gleich unseren ersten Umsatzrückgang seit unserem Börsengang.“ 

Auch wenn der Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal „nur“ um rund ein Prozent auf 28,8 Milliarden US-Dollar gesunken war, ist es eine Nachricht; das „Ablenkungsmanöver“ funktioniert. Zumindest kurz – bis sich Medien darauf konzentrieren, was Mark Zuckerberg auch zu den Themen Recommendations und Video zu sagen hat, also denen, die großer Bestandteil der Kritik an Instagram inklusive der Petition sind. Laut Zuckerberg machen Empfehlungen bereits 15 Prozent des Contents auf Facebook aus, den User sehen, auf Instagram sei der Wert noch einmal höher. Bis Ende 2023 wolle er diesen Wert mehr als verdoppeln.

Mit diesem Gif beschreibt der Business-Newsletter „The Hustle“ die harte Woche von Instagram (Quelle: The Hustle).

Am selben Tag übrigens reicht die US-Kartellbehörde FTC (Federal Trade Commission) eine Klage ein, um Metas geplante Übernahme von Within Unlimited zu verhindern. Das auf Virtual Reality spezialisierte Unternehmen sollte Metas Metaverse-Strategie unterstützen. Die geplante Akquisition von rund 400 Millionen US-Dollar wurde bereits im Herbst 2021 angekündigt.

Donnerstag

Nur zwei Tage nach dem Erklärungsvideo von Adam Mosseri und einen Tag nach Mark Zuckerbergs recht klarer Ansage, Recommendations auf Metas Plattformen auch in naher Zukunft einen hohen Stellenwert zukommen lassen zu wollen, erscheint auf „Platformer“, dem Substack-Newsletter des ehemaligen The-Verge-Reporters Casey Newton, ein Interview mit dem Instagram CEO. Und in diesem kündigt er an, einige der kritisierten Veränderungen auf der Plattform rückgängig machen zu wollen – zumindest vorerst. Die Testversion mit dem Full-Screen-Feed werde in ein bis zwei Wochen auslaufen und auch die Anzahl der empfohlenen Beiträge soll wieder verringert werden.

Das Nutzerverhalten habe gezeigt, dass der neue Feed nicht gut angekommen sei. „So there I think that we need to take a big step back, regroup, and figure out how we want to move forward“, sagt Mosseri im Gespräch mit Newton. Eine überraschende, aber auch ehrliche Kehrtwende im Vergleich zu den gerade mal 48 Stunden vorher verteidigten Änderungen – und ein perfekter Plot Twist in einer chaotischen Meta-Woche.

Was bedeutet all das für die Werbebranche?

Dass die Tiktokisierung von Instagram (und Facebook) bei vielen Usern offenbar alles andere als gut ankommt, dürfte spätestens jetzt kaum jemand mehr in Frage stellen. Aber welche Folgen haben all das und, wie Medien wie Axios und The Verge es beschreiben, das Ende von Social Media, eigentlich für Marken und Werbetreibende?

Florian Litterst, Gründer und CEO der Performance-Advertising-Agentur Adsventure, glaubt ebenfalls an ein Ende von Social Media, wie man es bisher kannte. Es finde eine Entwicklung hin zu Entertainment Plattformen, so wie es Tiktok im Prinzip schon von Anfang an gewesen sei, statt. Durch immer mehr Discovery-Funktionen und weniger Platz für Inhalte von Freunden würde dann auch die Relevanz von Creator Content stark steigen.

Die Rolle von Apples ATT

Der Shift zu mehr Video und Empfehlungen folgt auch auf eine seit dem Launch von iOS14 vor über einem Jahr eh schon stark veränderte Performance-Advertising-Umgebung. „Das iOS-Update hat schlussendlich dazu geführt, dass man extrem viele Daten verliert und sich Tracking gnadenlos verschlechtert hat“, sagt Florian Litterst. „Das verändert fast alle Grundprinzipien, auf denen Performance Advertising basiert“

Adsventure CEO Florian Litterst

Insgesamt würde durch all diese Entwicklungen eine Art Vakuum entstehen – auch weil der Seite der Marken an vielen Stellen Bereitschaft und Verständnis fehlen würden, den Fokus schnell auf entsprechende Videoinhalte zu legen. „Genau das wäre aber meine Empfehlung“, so Litterst. „Sich jetzt stark in diese Richtung zu entwickeln. Da gibt es große Chancen, weil viele nicht sofort reagieren werden.“ Die Schlussfolgerung für ihn und seine Agentur: „Wir nutzen so gut wie kein Targeting mehr und haben einfach unfassbar großen Fokus auf Creativ Testing“, erklärt der Gründer. „Ein wahnsinnig großer Fokus liegt dabei auf dem Thema Short Form Video Content. Der funktioniert extrem gut bei Tiktok, aber auch extrem gut bei Reels.“ Metas Video-Push wirkt sich also schon heute klar auf die Art und Weise aus, wie Marken auf den Plattformen werben. Und der Effekt dürfte sich in den kommenden Monaten noch massiv verstärken.

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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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