Minecraft-Server mit Netflix-Reichweite: Zeigt Dream SMP die Zukunft des Entertainments?

Wenn Top-Gaming-Youtuber Dream & Co. auf diesem Server ihre Geschichte fortschreiben, schauen Hunderttausende live zu

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Können Videospiele mehr sein als nur Zerstreuung für die Spieler selbst? Durch (auch, aber nicht nur) Youtube und Twitch ist Gaming zu einem riesigen sozialen Phänomen und sind die beliebtesten Spiele zu Plattformen geworden. Nicht wenige sehen in Mega-Games wie Fortnite und Roblox die ersten Versionen eines „Metaverse“. Nun zeigen einige Streamer, dass Spiele auch die Zukunft des Live-Storytellings und des Entertainments sein könnten – auf einem einfachen Minecraft-Server, mit Millionen-Reichweiten. OMR erklärt das Phänomen Dream SMP.

Als Streaming-Gigant Netflix im Januar dieses Jahres seine neue Teenager-Fantasy-Serie „Fate: The Winx Saga“ veröffentlicht, erhält diese über einige Wochen hinweg viel Aufmerksamkeit – zumindest wenn man die Entwicklung der Suchanfragen bei Google dafür als Maßstab nimmt. In den USA scheint junge Konsument:innen ein anderes Phänomen dauerhaft jedoch viel eher zu faszinieren: Dream SMP. Das ist nicht der Name einer Netflix-Serie – aus Sicht von einigen Vertretern der Medien- und Entertainment-Branche jedoch die nächste Generation des digitalen Storytellings.

Spiele als Plattformen fürs Storytelling

Was Dream SMP ist und wie weitreichend dieses Phänomen ist, dürfte für all jene, die mit dem Thema nicht vertraut sind, auf Anhieb schwer zu verstehen sein. Wir versuchen trotzdem, es zu erklären: Dream SMP ist ein im April oder Mai 2020 ins Leben gerufener Minecraft Server von Dream – einem anonymen, offenbar aus den USA stammenden Youtuber mit mittlerweile enormer Reichweite, dessen Gesicht niemand kennt, der aber von vielen namhaften Vertretern der Gaming-Szene als „weltbester Minecraft-Spieler“ gefeiert wird. SMP steht dabei für „Survival Multiplayer“ und bezeichnet die Art des Servers – auf SMP Servern können mehrere Spieler gegeneinander spielen. Der Server von Dream ist nur auf Einladungsbasis nutzbar. Dort spielen aktuell insgesamt 33 Streamer in einer Art Rollenspiel mit- und gegeneinander Minecraft.

Das Besondere: Die Dream-SMP-Mitglieder kreieren dabei eine durchgehende Storyline – eine Art „machiavellanisches politisches Drama“, wie Wired schreibt. „Wir haben gezeigt, dass sich mittels Videospielen sehr interessante Geschichten erzählen lassen“, so Streamer und Dream-SMP-Mitglied Quackity gegenüber Wired. In der „Disc Saga“, einem der meist beachteten Handlungsstränge, versuchen beispielsweise die beiden Streamer Dream und TommyInnit sich gegenseitig zwei seltene virtuelle Schallplatten abzujagen.

Streamingstars geben sich die Klinke in die Hand

Die Ereignisse auf dem Server sind lose gescriptet; die Beteiligten würden sich auf einem privaten Server der Chat-App Discord (hier im OMR Porträt) per Voice Chat vorab kurz absprechen. Es gibt Intrigen, Allianzen und über einen langen Zeitraum gespannte Handlungsbögen. „Hinzu kommen regelmäßig prominente Gäste: So sollen die reichweitenstarken Streamer und Youtuber KSI, Corpse Husband, Ninja und MrBeast sowie der Musiker Lil Nas X (hier im OMR Porträt) schon Dreams SMP besucht haben. Der Server erinnert damit an ein virtuelles „Creator House“ (unter Youtubern und Tiktok Creatorn ist das gemeinsame Wohnen und Content produzieren schon länger angesagt).

Die Zuschauer können der Geschichte der Dream SMP über die Streams der Mitglieder des Servers nachverfolgen – und diese damit auch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Einzelne Streams verbuchen dabei Reichweiten im sechsstelligen Bereich; rechnet man alle Streams zusammen, so sollen beispielsweise im Januar dieses Jahres zeitweise mehr als eine Million Menschen gleichzeitig zugeschaut haben.

Mehr als zwei Milliarden Views auf Youtube

Die beteiligten Streamer haben, seitdem Dream SMP ins Leben gerufen wurde, enorme Reichweitengewinne verbuchen können: Dream verzeichnete bereits als er Dream SMP ins Leben rief auf seinem Hauptkanal 2,5 Millionen Abonnenten – heute sind es 25,2 Millionen (seine insgesamt sieben Channels haben zusammengerechnet 35,7 Millionen Menschen abonniert). Der britische Streamer TommyInnit, der im Juli 2020 dazustieß, verzeichnete damals noch weniger als 300.000 Abonnenten. Heute sind es 10,3 Millionen Abonnenten (und 21,4 Millionen über all seine sieben Kanäle hinweg).

Das „Culture & Trends“-Team von Youtube hat im Juni ein Video veröffentlicht, mit dem es das Phänomen Dream SMP zu erklären versucht – und es sogar mit griechischen Helden-Epen vergleicht. Darin erklären die Plattformbetreiber außerdem, dass von Mai 2020 bis Juni 2021 auf Youtube Videos mit „Dream SMP“ im Titel mehr als zwei Milliarden Views verzeichnet haben.

Vom Fan-Wiki über Fanfiction bis zum Musical

Die dürften nicht alleine auf das Konto der 33 Dream-SMP-Mitglieder gegangen seid. Denn nicht nur, dass die Geschichte rund um Dream SMP so komplex geworden ist, dass diverse andere Youtube-Kanalbetreiber versucht haben, diese in Videos zusammenzufassen – es hat sich rund um den Server auch eine äußerst rege Community an Fans und Chronologisten herausgebildet (ein Artikel von The Verge offenbart einen tiefen, lesenwerten Einblick in diese weit verzweigte, digitale Parallelwelt).

So existiert ein eigenes Wiki mit aktuell insgesamt 673 Unterseiten, auf dem sich u.a. alle bisherigen Ereignisse noch einmal nachlesen lassen, unterteilt in verschiedene „Äras“. Youtuber EvanMCGaming hat in bislang sieben Videos mit insgesamt mehr als 35 Millionen Views die Storyline von Dream SMP rekapituliert. Der Twitter-Account SMP Update postet regelmäßig Updates zur Handlung und verzeichnet mehr als 212.000 Follower. Und die Youtube-Kanalbetreiberin alioof hat ein mehrteiliges Dream-SMP-Musical komponiert; auf Plattformen wie Wattpad lassen sich Massen von „Fanfiction“ finden.

Ein Peniswitz, der sich verselbständigt

Rund um den Server ist aus der Community heraus ein eigenes Meme-Universum entstanden. Dieses treibt die kuriosesten Blüten: Als im Mai ein Nutzer auf Tumblr sich unter Verwendung von pubertärem Fäkalhumor über die penible Chronistentätigkeit einiger Dream-SMP-Fans lustig macht, schlägt dies in der Szene so hohe Wellen, dass einige der Community-Mitglieder einen Discord-Server namens „Penis SMP“ einrichten. Der wird offenbar ein solcher Erfolg, dass sich aktuell in der aus dem Gaming-Bereich kommenden Chat-App Discord mehrere „Penis SMP“-Server finden lassen, mit zum Teil dreistelligen Mitgliederzahlen.

Und wie monetarisiert Dream-SMP-Initiator Dream diese enorme Aufmerksamkeit? Auch hier geht der Gaming-Star teilweise neue Wege. Zwar verdient Dream mutmaßlich auch sehr relevante Summen ganz klassisch mittels Youtubes und Twitchs Werbevermarktung sowie mittels bezahlter Abos auf Twitch. Doch wie das Szene-Medium Dexerto darlegt, geht der Streamer kaum selbst Werbepartnerschaften für Product Placements o.ä. ein. Eine wichtigere Säule dürfte demgegenüber das Geschäft mit Merchandising sein, dass Dream ebenfalls mittels Drops (hier unsere Erklärung der Mechanik) auf den Markt bringt. Nach Schätzungen von Similarweb verzeichnete der Merch-Shop im Juni dieses Jahres mehr als 800.000 Visits.

Plugins für zahlende Fans

Hinzu kommen Abos über die Mitglieder-Plattform Patreon. 941 Menschen zahlen dort aktuell zwischen fünf und 40 US-Dollar im Monat. Nur „Patrons“ oder jene Fans, die einen Merchandise-Artikel von Dream erworben haben, erhalten Zugang zu Dreams Discord-Server. Ein weiterer Anreiz zum Abschluss eines Patreon-Abos: Ab der zweiten Mitgliedsschaftsstufe (20 US-Dollar im Monat) sollen die zahlenden Fans Zugriff auf mehr als 20 „Custom Minecraft Plugins“ erhalten, die Dream ebenfalls in dem Spiel nutzt. Durchaus möglich also, dass Dream mittels Patreon ebenfalls fünfstellige Summen im Monat einnimmt.

Streaming-Gigant Netflix hat im Juli dieses Jahres übrigens einen ehemaligen Manager des Gaming Publishers Electronic Arts (der auch schon für Facebook tätig war) dafür eingestellt, um ein eigenes Gaming-Angebot aufzubauen. Netflix-Gründer und -CEO Reed Hastings sowie Greg Peters erklärten während des jüngsten Earnings Calls, dass es dabei nicht darum gehe, in Form von In-Game-Werbung oder In-Game-Einkäufen zusätzliche Monetarisierungsquellen zu erschließen. „Wir sehen das wirklich als eine Erweiterung unseres Kern-Entertainment-Angebotes“, so Peters.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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