Das Business mit Einschlaf-Podcasts: Warum langweilige Formate Millionen-Reichweiten haben

Martin Gardt21.7.2022

In den USA verdienen Podcaster 18.000 Dollar im Monat mit Geräusch-Podcasts. Läuft das Business in Deutschland auch so gut?

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Millionen Menschen leiden unter Schlafstörungen, liegen oft lange wach. Was vielen hilft: Beruhigende gleichmäßige Geräusche oder – wie aus Kindertagen bekannt – Einschlafgeschichten. Die Zielgruppe der Schlaflosen haben fast folgerichtig auch Podcaster:innen erkannt. In den USA macht einer nur mit Aufnahmen von Geräuschen über 18.000 US-Dollar pro Monat. Und in Deutschland erreicht das „Einschlafen mit…“-Format 1,5 Millionen Hörer:innen im Monat. Aber wie lassen sich solche Formate vermarkten, wenn die Zielgruppe dabei eigentlichen schnell schlafen soll?

Wir glauben bei OMR fest daran, dass Podcasts ein wachsendes Business sind. Große Plattformen wie Spotify investieren viel Geld in das Format. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie hören 16 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland täglich oder wöchentlich Podcasts, bei den 14- bis 29-Jährigen liegt der Wert doppelt so hoch. Und die Tendenz ist seit Jahren steigend. Kein Wunder, dass in Deutschland und weltweit unzählige Formate entstehen, erzählerisch, nachrichtlich, fiktiv, als Interview. Was große Podcast-Player bisher noch übersehen, sind einschläfernde Podcasts – klingt ja auch wenig spannend. 

18.000 Dollar mit Geräuschen?

In den USA haben die Nische clevere Creator:innen besetzt. Deren Podcasts tragen Namen wie „Calming White Noise“, „Best Noise Labs“, „Relaxing White Noise“ oder „Deep Sleep Sounds“. Einer von ihnen ist Todd Moore aus Florida Keys. Der kündigt 2009 seinen Job in der Cybersecurity-Branche und startet eine White-Noise-App. 2019 erweitert er das Geschäft um seinen Podcast „Tmsoft’s White Noise Sleep Sounds“. Er packt das Format auf Spotify und lädt Geräusche wie Lagerfeuer, Wind, Regenschauer, Wellen, Lüfter hoch. Die Folgen sind neun Stunden lang, damit Hörer:innen sie die ganze Nacht im Ohr haben können. 

Todd Moore sagt gegenüber Bloomberg, dass er mit seinem Einschlaf-Podcast etwa 50.000 Hörer:innen pro Tag erreicht – eine Zahl, die nur die erfolgreichsten 25 Prozent der Podcast-Formate auf der ganzen Welt erreichen. Er beschäftigt mittlerweile fünf Mitarbeitende für das Projekt und bietet den treuesten Fans ein Abo für 2,99 US-Dollar pro Monat an. Dadurch fällt die Werbung bei ihnen weg. Der Großteil der Hörer:innen nutze jedoch das kostenfreie Angebot einfach über Spotify. Hier schalte Moore über die Podcast-Plattform Anchor Pre-Roll-Ads am Anfang jeder Folge. Die Plattform zahlt ihm 12,25 US-Dollar pro Tausend Hörer:innen, was bei seiner Reichweite über 18.000 US-Dollar im Monat bedeutet. 

Wenig Aufwand, viel Potenzial

Andere sind nicht so geplant wie Todd Moore in das Geschäft rund um Einschlaf-Podcasts gerutscht. Brandon Reed arbeitet 2019 noch für Walt Disney in Florida als er Geräusche aufnimmt und für sein Baby als Einschlafhilfe ausspielt. Damit er die Sounds auch online hat, lädt er sie auf Spotify hoch und plötzlich empfiehlt der Algorithmus seine Show „12 Hour Sound Machines (no loops or fades)“ vielen Nutzenden. „Ich habe nicht geplant, dass Leute das hören“, sagt Brandon Reed. Drei Jahre später hat der Podcast 100.000 Hörer:innen pro Tag und landet immer wieder in den Spotify-Charts in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt. Im vergangenen Jahr schaffte es Reed mit seinem Format in die Top-15 der US-Podcast-Charts. Allein über sein Abo-Angebot, dass Werbung ausblendet, habe er bisher über 10.000 US-Dollar verdient. Die Einnahmen durch Ads dürften ungleich höher sein.

Was die Umsatzzahlen so beeindruckend macht, ist der vergleichsweise geringe Aufwand, mit dem sie erzielt werden. Viele Podcasts verschlingen Arbeitsstunden mehrerer Mitarbeitender. Die White-Noise-Formate erfordern das Aufstellen eines Aufnahmegeräts in einem Park, an einem Strand, vor einem Lüfter. Schnitte sind eine Seltenheit, viele Formate loopen sogar die eine Stunde Geräusche einfach mehrfach, um auf eine Länge von acht bis zwölf Stunden zu kommen. Der große Nachteil für Einschlaf-Podcaster:innen: Sie können eigentlich nur einen Werbeclip zu Beginn senden. Wenn das Format funktioniert, ist die Zielgruppe ja nach wenigen Minuten im Land der Träume und würde von einer Unterbrechung eher gestört.  

In Deutschland lieber Geschichten

In den USA gehen Geräusche durch die Decke, Deutsche schlafen offenbar auch gern zu Geschichten und Stimmen ein. Schon 2016 stand Tobias Baier auf der OMR-Bühne, der seinen Einschlafen Podcast seit vielen Jahren aber eher als Hobby betreibt. In mittlerweile über 500 Folgen erzählt er mit ruhiger Stimme, was ihm gerade so in den Sinn kommt und liest Gedichte und Geschichten vor. Noch erfolgreicher ist mittlerweile die Podcast-Produktionsfirma Schønlein Media mit gleich mehreren Einschlaf-Formaten. Am bekanntesten ist dabei „Einschlafen mit Wikipedia“. Wie der Name schon sagt, lesen die Hosts Tilman Böhnke und Josefine Wozniak einfach Wikipedia-Artikel vor. Schön langweilig und einschläfernd eben. Die Folgen haben je nach Artikel eine Länge zwischen zehn und 30 Minuten. 

Florian Kasten

Florian Kasten, Geschäftsführer bei Schønlein Media

„Wir haben einfach überlegt, was wir mit unserem Technik-Studio machen können. Wir waren noch ganz jung und haben über Zielgruppen nachgedacht. Jeder muss schlafen und diese riesige Zielgruppe wollten wir abgreifen“, sagt Schønlein-Media-Geschäftsführer Florian Kasten gegenüber OMR. „Ich saß dann auf einer Konferenz neben jemandem von Wikipedia und hab den gefragt, ob wir einfach Artikel vorlesen können.“ Das alles passiert Ende 2019, mittlerweile kommt der Podcast auf knapp 300 Folgen. „Das ging direkt durch die Decke. Wir hatten zwei Jahre großes Wachstum und sind jetzt auf einer Spitze angekommen“, so Kasten. Der schnelle Erfolg und der vergleichsweise geringe Produktionsaufwand bringen Florian Kasten und sein Team dazu, weitere Einschlaf-Podcasts zu entwickeln. Mittlerweile gibt es neben „Einschlafen mit Wikipedia“ noch ähnliche Formate mit Hogwarts-Fakten, Geschichte, Musik, Kriminalfällen, Geräuschen und eine englische Version.

Hürden bei der Vermarktung

Was schneller Erfolg heißt? „Einschlafen mit Wikipedia lag im Juni 2022 bei über 600.000 Streams im Monat. Einschlafen mit Hogwarts kommt auf etwa zwei Drittel der Zahl davon“, so Florian Kasten. „Insgesamt kommen unsere ‚Einschlafen mit…‘-Podcasts auf 1,5 Millionen Streams pro Monat.“ Bei der Auswertung der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse lag „Einschlafen mit Wikipedia“ damit auf Platz 20 der dort ausgewerteten deutschen Podcasts im Juni

Aber auch Schønlein Media muss erkennen, dass eine solche Reichweite bei einem Einschlaf-Podcast unter Umständen weniger wertvoll ist, als bei anderen Formaten. Bisher verdiene das Unternehmen vor allem mit der einen Pre-Roll-Ad am Anfang der Podcasts. „Werbung können wir am Anfang sehr gut schalten. In der Zukunft wollen wir aber mit Werbepartnern komplett bei einem Format zusammenarbeiten. Das bietet sich für Matratzenhersteller, CBD-Öl-Produzenten und bei allem an, wo es um Runterkommen und Entspannen geht“, erzählt Kasten. Eine solche exklusive Zusammenarbeit könnte dann auch die Einbindung des Partner-Logos auf dem Cover und weitere Aktivierungen auf einer Landing-Page umfassen. Auch Podstars by OMR wird bald mit einem exklusiven Partner ein Einschlaf-Format starten. 

Laut Kasten sei auch eine Bündelung der Reichweiten denkbar. „Wir warten noch auf den Werbemarkt, bis wir alle Einschlaf-Formate gebündelt vermarkten können. Wir sind damit ja riesig und das ist ein großer Vorteil.“ Eine weitere Monetarisierungsvariante probiert Schønlein Media mit „Einschlafen mit True Crime“ aus. Der Podcast erscheint auf Impuls von Podimo exklusiv auf der Podcast-Plattform. „Wir stehen in Kontakt mit verschiedenen Plattformen auch über weitere Spin-Offs“, erzählt Florian Kasten. Wie die genau aussehen werden und was das Unternehmen mit den Einschlaf-Podcasts bisher verdient hat, will er nicht verraten. Aber eins ist klar: Auch jedes neue Format wird wieder bewusst ein bisschen langweilig sein.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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