Nach zwei Jahren schon Unicorn: Die Fast-Fashion-App Cider ist der neue Shein-Konkurrent

Martin Gardt4.8.2022

Wir zeigen, mit welchen Strategien Cider so schnell wächst und Millionen Kundinnen gewinnt

Cider, die neue Fast-Fashion-App
Shein-Konkurrent Cider setzt voll auf die weibliche Gen Z als Zielgruppe.

Die größte Gefahr für Amazon sind derzeit Fast-Fashion-Apps aus Asien. Shopee aus Singapur, Shein aus China und Meesho aus Indien wurden 2021 häufiger heruntergeladen als Amazon. Besonders Shein hat auch in den westlichen Ländern Millionen Kund:innen. Jetzt taucht mit Cider ein neuer Player im Fast-Fashion-Game auf. Das Unternehmen ist erst zwei Jahre alt und hat durch Millionen-Investitionen bereits Unicorn-Status. Wir zeigen, warum gerade die App bei der jungen Zielgruppe so gut ankommt und wie Strategien wie Drops, Liveshopping und Dauerrabatte dabei helfen.

Sie heißt zwar wie der Apfelschaumwein, hat aber nichts mit Getränken zu tun: Cider ist eine 2020 von Michael Wang in Hong Kong gegründete Fast-Fashion-App, die derzeit rasant wächst. Wang war ebenfalls Co-Gründer der inzwischen eingestellten Fashion-Leih-App Ycloset, in die unter anderem Alibaba insgesamt 70 Millionen US-Dollar investiert hatte. Allein in der ersten Jahreshälfte verzeichnet Cider über zwei Millionen Downloads nur in den USA – ein Wachstum von 1.686 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt die junge App zwar noch lange nicht auf dem Niveau von Shein & Co. (190 Millionen Downloads weltweit 2021), ist aber offenbar schon jetzt auf dem wichtigen US-Markt angekommen.

Und das haben offenbar auch prominente Investoren erkannt. Unter anderem Andreessen Horowitz, DST Global (früher Investor in Facebook, Twitter, Whatsapp, Snapchat) und IDG Capital, einer der bekanntesten VCs Chinas, haben 140 Millionen US-Dollar in das Unternehmen gesteckt – die Bewertung von Cider liege damit schon zwei Jahre nach der Gründung bei über einer Milliarde US-Dollar.

Schnelle Mode für Gen Z

Der Fast-Fashion-Markt ist trotz Nachhaltigkeitsbedenken riesig – und weiter wachsend. Von etwa 100 Milliarden US-Dollar könnte er laut aktueller Studien auf 133 Milliarden Dollar in 2026 springen. Kein Wunder, dass neben etablierten Unternehmen wie Zara und H&M einige digitale Wettbewerber auf Marktanteile schielen. Symbolisch steht dafür der Aufstieg von Shein: Die Shopping-App aus China ist mittlerweile mit 100 Milliarden US-Dollar bewertet. Wir haben sie hier bereits ausführlich beleuchtet. Aus Europa, genauer gesagt der Türkei, macht sich Trendyol auf die Jagd nach dem Fast-Fashion-Thron (das haben wir hier analysiert). Jetzt klopft also auch Cider an.

Screenshot Online-Shop Cider

Cider setzt auf thematische Kuration seiner Styles

Worauf das Unternehmen und seine Investoren hoffen ist die Etablierung in einer Nische, die große Konkurrenten nicht mehr voll konzentriert bespielen. So widmet sich Shein aktuell voll dem Weg Richtung Amazon und bietet mittlerweile auch Dekoartikel, Geschirr oder Hundespielzeug an. Cider setzt hingegen komplett auf schnelle Mode für die (weibliche) Gen Z: Tops, Kleidchen, Röcke, verspielte Schnitte, viele Blumenmuster. Die Preise für die Kleidung liegen zwischen 14 und 30 Euro. Kleinere Schmuckstücke kosten auch mal vier Euro. Alles produziert in und verschickt aus China – ohne Zwischenhändler, direkt aus der Fabrik. Das Zauberwort bei den Designs von Cider ist „Real Time Retail“. Wie bei Shein vergehen zwischen Kreation und Produktion neuer Klamotten nur zwischen drei und sieben Tage. So kann Cider rasend schnell auf aktuelle Kleidungstrends reagieren und etwa gerade auf Instagram von Star-Influencern gezeigte Luxus-Mode kopieren.

Und Cider will noch einen Schritt weiter gehen und angepasst auf die Nachfrage produzieren. Andreessen-Horowitz-Partnerin Connie Chan erklärt die Strategie ausführlich, um zu zeigen, warum sie investiert hat: „Durch den Aufbau einer digitalisierten Lieferkette, die Feedback an die Fabriken über die angesagtesten Styles schickt, baut Cider das ultimative Flywheel aus großartiger Auswahl und großartigen Preisen.“ Das Ziel sei ein Vorbestell-Modell, das ohne Inventar auskomme. Irgendwann sollen Nutzende die Auswahl aus abertausenden Styles haben, die nach ihren Vorlieben sortiert sind. Erst auf Bestellung werde dann produziert und verschickt. So soll das Fast-Fashion-Modell seine Nachhaltigkeits-Makel abschütteln. Chan erklärt nur leider nicht, wie nachhaltig es insgesamt ist, billig produziert Klamotten zu verkaufen, die nach einem Jahr im Müll landen. Gleichzeitig gibt es immer wieder Verdächtigungen, dass Cider zum Teil Dropshipping betreibt und Produkte einfach bei AliExpress einkauft und von der Plattform verschicken lässt.

Drops, Liveshopping, Rabatte, Moods

Screenshot Cider App

Rabatte gehören im Fast-Fashion-Business dazu

Wer die Cider-App oder den Online-Shop derzeit öffnet, bekommt von den dahinter stehenden Plänen erst einmal nichts mit. Es lässt sich aber erkennen, wie das Unternehmen Nutzende vom Kauf und ständiger Rückkehr überzeugen will. Andere asiatische Player wie Shein, Shopee und Meesho setzen stark auf Gamification und Bonuspunkte für langes Scrollen oder häufiges Anklicken einzelner Artikel (das hat Philipp Westermeyer in seiner Präsentation „State of the German Internet 2022 genauer erklärt). Cider wandelt bei Design und Retention-Hebeln eher auf den Spuren von Social-Plattformen. Klar nutzt die App klassische Rabatt-Angebote – für die erste Bestellung gibt es direkt 20 Prozent. Im Zentrum stehen aber Funktionen wie Liveshopping. Mehrfach täglich startet ein Livestream mit einer Moderatorin, die verschiedene Styles präsentiert. Der Hinweis auf den Stream rutscht beim Scrollen mit und ist komplett sichtbar.

Drops bei Cider

Bei Drops handelt es sich im Cider-Kosmos eher um Kollektionen zu einem bestimmten Thema

Auf der Startseite der App versucht Cider außerdem den Instagram-Look zu kopieren. Kreise am oberen Ende wirken wie die Story-Funktion, dahinter verbergen sich aber einfach neue Styles, Bestseller, Produkte im Sale usw. Ein neben Livestreams und immer neuen Rabatten weiterer Kniff, um Nutzende immer wieder in die App zu holen, ist die Kategorie „Drops“. Das Marketing-Instrument haben wir bereits ausführlich hier erklärt. Die Kurzform: Brands kündigen meist limitierte Produkte im Vorfeld auf Social Media an – mit einem genauen Verkaufs-Start. Dieser „Drop“ löst dann im besten Fall einen Hype aus, alle stürzen sich gleichzeitig auf das Produkt, die Marke wirkt besonders begehrt.

Cider baut das rudimentär nach. Auf Instagram zeigt das Unternehmen nicht nur einzelne Stücke, sondern oft auch ganze Kollektionen mit thematisch passenden Klamotten – derzeit zum Beispiel „The Enchanted“. Diese „romantischen“ Tops und Röcke landen als „Drop“ dann in der App. Limitiert oder zeitlich begrenzt ist das alles aber nicht. Am Ende soll vor allem die Neugier auf die ständig neuen Styles Kundinnen immer wieder in die App treiben. Die Strategie der Themen-Kollektionen zieht sich insgesamt durch die Cider-Strategie. Die sogenannten „Moods“, also Stimmungen“ ziehen sich durch die App und die Social-Kanäle. Kundinnen können im Shop und der App eine Stimmung wählen (u.a. „Ich fühle mich süß“, „Ich fühle mich retro“) und sich so inspirieren lassen können.

Eine Community bauen

Wer die Gen Z für sich gewinnen will, muss auf den großen Social-Plattformen stark sein. Cider versucht vor allem mit dem Community-Gedanken bei potenziellen Kundinnen anzukommen. Auf Instagram betreibt das Unternehmen neben seinem Kernaccount mit 3,7 Millionen Followern auch den Kanal Cider Gang mit allerdings erst knapp 50.000 Fans. Hier landen vor allem Bilder von Kundinnen, die ihre Cider-Styles auf Instagram gepostet und den Hashtag #cidergang verwendet haben. Unter dem Hashtag wurden bisher an die 16.000 Posts auf Instagram abgesetzt, zum weiteren Hashtag #shopcider finden sich über 25.500 Posts.

So richtig eng soll die Community dann aber auf der Kommunikations-Plattform Discord zusammenfinden (hier unsere Erklärung zum Community-Potenzial dort). Das Versprechen: Wer beitritt bekommt exklusive Angebote und immer alle Neuigkeiten direkt mit. Der Discord-Kanal InCider hat bisher allerdings erst knapp über 5.000 Mitglieder. „Mode dreht sich um Stil, Passform und Ausdruck der Persönlichkeit. Das gilt besonders für die Gen Z. Neue Generationen werden eine größere Abwechslung in Kleidungsstilen fordern, ohne dass die zu teuer ist oder den Planeten schädigt“, so Andreessen-Horowitz-Partnerin Connie Chan. „Die #cidergang erwartet klarere Zusammenstellung, höhere Qualität, bei niedrigen Preisen.“ Genau darüber tausche sich die Community jetzt schon aus.

Auch auf Tiktok drehen sich die Inhalte von Cider vor allem um thematische Styles. Den 3,9 Millionen Followern zeigen Models in kurzen Clips die besten Outfits für die Date Night, Styles für den Sommer oder Unisex-Outfits. Allerdings erreichen die meisten der Tiktok-Videos von Cider nur wenige Tausend Views, so richtige virale Ausreißer sucht man vergebens. Deshalb müssen auch dieser Brand Influencer beim Kampf um Reichweiten helfen. Ein Blick auf die Plattformen zeigt aber: Cider setzt auf kleine Creator mit 10.000 bis 100.000 Followern, die ihre Gutscheincodes anpreisen und sich in Cider-Klamotten zeigen.

Auch in Deutschland schon erfolgreich?

Bisher ist Cider trotz der chinesischen Wurzeln vor allem in den USA erfolgreich (das Unternehmen will auch lieber als globales Ding wahrgenommen werden). Aktuell sind 14 Stellen unter anderem für den US-Markt und Europa ausgeschrieben, meistens Remote. 43 Prozent aller App-Downloads kommen aus den USA. Laut Techcrunch sind Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada und Südkorea die weiteren Top-Märkte der App. Ein Blick in das Analyse-Tool Appfigures zeigt die Zahlen für Deutschland. Demnach wurde die App hierzulande bisher etwa 550.000 Mal heruntergeladen. 325.000 Downloads – also deutlich über die Hälfte – sind dabei in den vergangenen 90 Tagen passiert.

Und die Strategie von Cider ist auf jeden Fall global. Die App gibt es in 15 Sprachen, als Lieferdauer werden fünf bis neun Tage angegeben. Eine kostenlose Retoure ist bei jeder Bestellung auch in Deutschland Standard. Damit die App hier noch bekannter wird, muss Cider allerdings Geld in die Hand nehmen. Wie das dann funktionieren kann, zeigt die türkische Plattform Trendyol, die für Star-Influencer in Deutschland Millionen ausgibt. Denn nur auf eine Community setzen, die immer neue Kundinnen ansteckt, darauf kann keine Brand der Welt zählen.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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